Washington Ein Zaun als nationales Streitobjekt

Washington · Das Weiße Haus soll besser vor Eindringlingen geschützt werden. Manch einer wertet das als Angriff auf die Demokratie.

Gut zwei Meter ist er hoch, der Zaun rings ums Weiße Haus. Schwarze Gitterstäbe, hübsche Zierspitzen. Millionenfach fotografiert, weil sich von draußen kaum eine White-House-Aufnahme machen lässt, ohne dass der Zaun nicht mit im Bild wäre. Nun hat der Plan, ihn doppelt so hoch zu bauen wie bisher, eine heftige Kontroverse ausgelöst.

Ein Haus des Volkes soll er sein, der Sitz des Präsidenten, was natürlich Illusion ist, wenn man bedenkt, dass auf dem Dach Scharfschützen postiert sind und niemand ohne Anmeldung durch die Sicherheitsschleuse kommt. Jedenfalls handelt es sich um eine Villa, die sich im Vergleich zum Londoner Buckingham Palast eher bescheiden ausnimmt. Das genau war auch der Auftrag des Architekten, ein Ire namens James Hoban. Das Gebäude an der Pennsylvania Avenue sollte im Einklang mit dem Credo einer Republik stehen, die sich auch in den Symbolen ihrer Macht absetzen wollte von den britischen Kolonialherren. Bloß nicht vom Volk abschotten!

Bis in die 1980er Jahre hat man das ziemlich gut durchgehalten. Dann führte die Vorstellung, Terroristen könnten in der Nähe einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in die Luft jagen, als Erstes dazu, dass hässliche Poller aus Beton aufgestellt wurden. 1995, nachdem der Rechtsextremist Timothy McVeigh ein Regierungsgebäude in Oklahoma City mit einer Bombe verwüstet und dabei 168 Menschen getötet hatte, wurde die Pennsylvania Avenue auf Höhe der Nummer 1600, der berühmten Adresse, für den Verkehr gesperrt. Nur beim Zaun, da blieb alles beim Alten.

Letzteres begünstigte eine Reihe von Kletterkünstlern, während sich die Personenschützer, die den amerikanischen Präsidenten und dessen Familie bewachen, ein ums andere Mal blamiert sahen. Am peinlichsten wohl an einem Septembertag des Jahres 2014, als es einem Irakkriegsveteranen namens Omar José Gonzalez gelang, nicht nur über das Gitter zu springen, sondern auch die 60 Meter über den Rasen bis zum Säulenportal des Weißen Hauses zu sprinten.

Vorigen Herbst, an Thanksgiving, rund um den obligatorischen Truthahn der wichtigste aller Feiertage in den USA, legte sich ein offenbar von Selbstmordgedanken geplagter Mittzwanziger ein Sternenbanner um die Schultern, als er das Hindernis überwand. Allein in diesem April waren es zwei Eindringlinge, die über den Zaun sprangen - einer, nachdem er die Geldbörse einer Passantin gestohlen hatte und sich aus dem Staub machen wollte. Um der Serie ein Ende zu setzen, haben die genervten Leibwächter des Secret Service eine radikale Änderung vorgeschlagen: Ein neuer Zaun soll her, doppelt so hoch wie der jetzige. Kaum lag die Skizze auf dem Tisch, hagelte es Widerspruch, zumal der Secret Service den taktischen Fehler beging, das Weiße Haus mit dem Buckingham Palast zu vergleichen. Der Hauptsitz der Queen sei ja auch durch ein veritables Gitter geschützt, warum nicht von anderen lernen. "Es ist schon seltsam, den Sitz der Demokratie am Buckingham Palace zu messen", protestierte Eric Shaw, der oberste Stadtplaner Washingtons. "Der ganze Sinn besteht doch darin, dass es ein Haus sein soll und kein Palast." Worauf der Chef des Secret Service entgegnete, dass man ja nicht an eine Mauer denke, sondern an Gitterstäbe, durch die man nach wie vor auf den Sitz der Demokratie blicken könne. Wie die Debatte ausgeht, ist vorläufig offen.

Als Thomas Jefferson, der dritte US-Präsident, 1801 den ersten Zaun ums Weiße Haus ziehen ließ, ging es allein darum, Viehherden ein Hindernis in den Weg zu stellen. Erst in den 1890er Jahren wurde er durch ein höheres Exemplar ersetzt, diesmal als Barriere für Menschen. Frances Cleveland, die Frau des damaligen Staatschefs Grover Cleveland, hatte sich darüber erregt, wie wildfremde Frauen hereinspazierten und ihre im Garten spielende Tochter abknutschten.

(RP)
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