Ein Jahr nach dem Putschversuch Türkei provoziert erneut

Meinung | Berlin · Eigentlich sollte die Türkei am Jahrestag des Putsches Solidarität erfahren. Doch die inzwischen autokratisch geführte Türkei selbst verhindert, dass ihr diese Form von Mitgefühl und Solidarität zuteil werden kann.

 Erdogan spricht in Istanbul zu seinen Anhängern. (Archivbild)

Erdogan spricht in Istanbul zu seinen Anhängern. (Archivbild)

Foto: dpa, PG YK lof htf

Die Kräfte, die in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 den Putsch unternahmen, handelten illegal und müssen bestraft werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Doch die Massenverhaftungen, die nach dem Putschversuch in der Türkei folgten, entbehrten jeder Verhältnismäßigkeit. So wie auch die anhaltende Wut und die neuen Verhaftungen zum Jahrestag völlig unangemessen für einen Gedenktag sind.

Aus deutscher Sicht ist die Türkei ein Trauerfall. Das militärisch-strategisch wichtige Land zwischen Europa und der arabischen Welt war als EU-Beitrittskandidat auf dem Weg zu einer modernen Demokratie, bis Präsident Erdogan den Rückwärtsgang einlegte. Die Enttäuschung übereinander in der Türkei wie in Deutschland ist enorm groß. Das schlechte Verhältnis der beiden Länder beschränkt sich längst nicht nur auf die diplomatische Ebene. Es hat auch die Bürger ergriffen. Die Spaltung geht tief. Ein solches Zerwürfnis braucht Jahre, bevor Vertrauen und Sympathie wieder wachsen können.

Aktuell geschieht permanent das Gegenteil. Die jüngste Provokation: Die Türkei verbietet nun auch den Besuch deutscher Parlamentarier am Nato-Stützpunkt Konya. Damit zieht sie das Verteidigungsbündnis in die deutsch-türkischen Auseinandersetzungen hinein. Das ist eine neue dramatische Eskalationsstufe. Bislang ist die deutsch-türkische Freundschaft zerbrochen und die Partnerschaft auf das EU-Türkei-Abkommen reduziert. Dass nun auch die Bündnisfähigkeit in Frage steht, ist ein ernst zu nehmendes Sicherheitsproblem — für die Türkei und Deutschland.

Deniz Yücel als Faustpfand

Versöhnung ist nicht Sicht. Ein ganzer Berg an Streitthemen steht zwischen den Ländern. Merkel wird Erdogan zu Recht in Deutschland nicht öffentlich auftreten lassen. Das verübelt er ihr persönlich. Seinen Ärger wird er mit weiteren Nadelstichen zum Ausdruck bringen. Derweil er auch den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel wie einen Faustpfand in Haft behält.

Die deutsch-türkischen Beziehungen belastet auch der Vorwurf schwer, Deutschland decke Mitglieder der Terror-Organisation PKK und der Gülen-Bewegung, die die Türkei für den Putsch verantwortlich macht. Das Problem ist nicht lösbar: Deutschland wird selbstverständlich seine rechtsstaatliche Haltung in dieser Frage nicht aufgeben. Streitpunkte wie die Empörung der Türken über den Satiriker Böhmermann oder auch die Armenien-Resolution des Bundestags muten dagegen wie Folklore an.

Weiterer Ärger droht: Auch die wachsende Zahl türkischer Asylbewerber in Deutschland ist dazu geeignet, Fall für Fall neue Eklats auszulösen und zur Machtprobe zwischen den Regierungen zu werden.

(qua)
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