Neu-Delhi/Gandhinagar Ein Hindu-Nationalist regiert Indien

Neu-Delhi/Gandhinagar · Wegen seiner Verstrickung in ein Pogrom mit Hunderten Toten ist Narendra Modi eine der umstrittensten Figuren der indischen Politik. Ungeachtet dessen haben ihn die Wähler an die Spitze der "größten Demokratie der Welt" gehievt.

Der Regierungssitz des indischen Bundesstaats Gujarat liegt in einer idyllischen Villensiedlung in Gandhinagar. Das laute Treiben auf den Straßen der nahegelegenen 3,5-Millionen-Metropole Ahmedabad wirkt weit entfernt. Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte in beigen Uniformen patrouillieren im Schatten der Bäume. Schließlich ist die Angst groß, dass dem mächtigen Bewohner des fast schon schmucklosen Bungalows etwas zustoßen könnte.

An Feinden mangelt es Narendra Modi nicht, dem bisherigen Regierungschef von Gujarat. Schließlich wird der Führungsfigur der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) Untätigkeit während der schweren anti-muslimischen Pogrome 2002 in Gujarat vorgeworfen: Nachdem ein Zug mit Hindu-Pilgern in Brand geraten war, wütete ein Mob mehrere Tage lang in den Straßen. Am Ende waren 1200 Menschen tot, viele von ihnen Muslime. Einige Zeugen behaupteten, Modi habe den Sicherheitskräften Befehl gegeben, nicht einzugreifen. Auch wenn seiner Administration juristisch bis heute keine Schuld nachgewiesen werden konnte, wird der Politiker international gemieden - die USA haben ein Einreiseverbot gegen ihn verhängt, auch deutsche Diplomaten vermeiden gemeinsame Auftritte mit dem 63-Jährigen bislang.

Das dürfte sich ändern. Denn aller Kritik zum Trotz haben die Inder den Mann, der sich gerne als unbestechlicher Kämpfer gegen die grassierende Korruption darstellt, zum neuen Regierungschef Indiens gewählt. Ein Nationalist, den die Konkurrenten der bislang regierenden Kongresspartei sogar offen als Faschist bezeichnen, steht nun an der Spitze der selbst ernannten "größten Demokratie der Welt". Während die USA sich noch wanden, erklärte der deutsche Botschafter in Delhi, Michael Steiner, bereits: "Als gewählter Premierminister Indiens braucht Modi kein Visum für Deutschland. Er ist willkommen."

Wer Modi in seinem Amtssitz in Gandhinagar besucht, muss am Eingang schärfere Kontrollen als an jedem Flughafen über sich ergehen lassen. Die Abordnung deutscher Journalisten lässt der starke Mann Indiens erst einmal warten. Stattdessen zeigt sein Kabinettschef in einem kleinen Büroraum einen Werbefilm, in dem der Staat Gujarat über den grünen Klee gelobt wird.

Tatsächlich hat Modi anders als manch anderer die Zeichen der Zeit erkannt, hat zahlreiche nationale und internationale Investoren angelockt, fortschrittliche Häfen gebaut und aus dem kleinen Bundesstaat ein Paradebeispiel dafür gemacht, wie man das unter Korruption ächzende und mit schlechter Infrastruktur kämpfende Indien voranbringen könnte - ja vielleicht sogar in eine Liga mit dem benachbarten China.

Als Modi im weißen Gewand den Saal betritt und die Journalisten per Handschlag begrüßt, ist schnell klar, dass hier ein kühl kalkulierender Machtmensch am Werke ist. Mit stechendem Blick mustert er die Delegation. Schließlich hat er schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. Interviews bricht er ab, wenn sie zu kritisch geraten.

Die Fragen der Deutschen hat er sich sicherheitshalber vorab schicken lassen. Statt Antworten aus seinem Mund gibt es ein umfangreiches 22-seitiges Dossier. Bei seinem Auftritt selbst umschifft Modi jedoch die schwierigen Themen, hält nur ein kurzes Loblied auf seinen Staat. Zum Abschluss muss sich jeder Journalist mit ihm fotografieren lassen, während er den Gästen einen dicken Gujarat-Fotoband in die Hand drückt - jeder internationale Politiker hätte sich davor wohl zu drücken versucht: bloß keine Bilder zusammen mit diesem Mann. Denn bis heute hat Modi sich nicht für das Massaker an den Muslimen entschuldigt, bis heute wirken seine Bekenntnisse zur religiösen Vielfalt allenfalls halbherzig.

Und doch fiel sein Sieg so triumphal aus, wie es wohl niemand erwartet hatte - nicht einmal er selbst. Modis BJP fuhr mit bis zu 288 der 543 Sitze den höchsten Sieg aller Parteien seit drei Jahrzehnten ein und kann damit alleine regieren. Die bisher regierende Kongresspartei erlitt ein nie da gewesenes Debakel und dürfte nach vorläufigen Zahlen gerade noch auf 46 Mandate kommen. Einige Medien sahen bereits das Ende von Indiens "Grand old party" und der politischen Dominanz der Gandhi-Dynastie gekommen.

Modi wird als Regierungschef Manmohan Singh ablösen, der zuletzt nur noch wie das Feigenblatt einer korrupten Regierung und der Statthalter der Gandhi-Dynastie wirkte. "Indien hat gewonnen", twitterte Modi. Im ganzen Land tanzten, sangen und trommelten BJP-Anhänger auf den Straßen.

Die Massen haben ihn nicht gewählt, weil sie eine Hindu-Diktatur wollen. Sie haben ihn gewählt, weil die Kongresspartei sie bitter enttäuscht hat. Modi hat den Menschen wieder eine Vision geschenkt. "Modi bedeutet Hoffnung", sagen seine Fans. Er verheißt ein neues, starkes Indien. "Gebt mir 60 Monate Zeit", bat er, "um die Wirtschaft wieder anzukurbeln." Zugleich mühte er sich, Ängste der Minderheiten zu zerstreuen: Er werde der Regierungschef aller Inder sein, versprach er.

Modis triumphaler Sieg birgt Chancen und Risiken zugleich: Erstmals seit Jahrzehnten braucht damit eine Partei keine Koalitionspartner. Damit kann Modi auch schmerzhafte Reformen durchsetzen. Doch er kann auch weitaus autoritärer regieren, als wenn er in eine Koalition eingebunden wäre. Einige Analysten sehen bereits einen "indischen Putin" erstarken, der seine Macht auf Jahrzehnte zementiert.

(RP)
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