Düsseldorf Ein Besuch bei Gaddafi

Düsseldorf · Not macht erfinderisch. Die Lösung aber, die sich der Eishockeyklub ECD Iserlohn Ende 1987 für seine finanziellen Probleme ausgedacht hatte, war abenteuerlich. Bei ihrer Suche nach einem millionenschweren Sponsor wurden die Sauerländer nämlich bei Muammar al Gaddafi fündig. Im Gegenzug warben die Profis des damaligen Eishockey-Erstligisten auf ihren Trikots für die Revolutionsfibel des libyschen Diktators. Der Vorgang löste einen Eklat aus. Mit den jüngsten bizarren Auftritten des taumelnden Machthabers kehrt die Erinnerung zurück.

Ich war seinerzeit als Sportreporter dabei, als die Verhandlungsdelegation des ECD von Gaddafi in dessen Beduinenzelt am Rande der libyschen Hauptstadt Tripolis empfangen wurde.

Was die Mao-Bibel für die Chinesen war, sollte das Grüne Buch für die Libyer sein. Gaddafi entwickelt darin seine Herrschaftsvorstellungen, die er in seiner nicht unbescheidenen Art als "Dritte Welttheorie" bezeichnet und als Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus versteht. Die Jungs vom Eishockeyclub ECD Iserlohn haben mit derlei theoretischen Betrachtungen wenig am Hut. Für sie zählt der praktischer Nutzen: Ein mit 1,5 Millionen Mark dotierter Werbevertrag mit dem "Weltzentrum zur Verbreitung des Grünen Buches". 1987 ist das eine Menge Geld. Verlockend viel Geld für die kleine Aufschrift auf den ECD-Trikots: "M. Gaddafi, Das Grüne Buch". Doch dem Deutschen Eishockey-Bund behagt das nicht. Er will die Aktion verbieten. Da hat Vereins-Präsident Heinz Weifenbach, ein Bauunternehmer mit guten Kontakten nach Libyen, die Idee: Ein kurzfristig geplanter, medienwirksamer Trip nach Tripolis könnte das Vorhaben retten. Höhepunkt der Reise: ein Treffen mit Gaddafi. Mit 20 deutschen Journalisten bricht er auf.

Da sitzen wir nun nach der Landung in einem Bus. Die Fenster sind zugehängt, unsere Augen verbunden. Es ist der 5. Januar 1988. Scheinbar ziellos geht es durch die Stadt. Schließlich stehen wir in einem Park, nahe beim Beduinenzelt, in dem Gaddafi an stets wechselnden Orten seine Pressekonferenzen abzuhalten pflegt. Nach 20, vielleicht 30 Minuten betritt Gaddafi das Zelt, umgeben von seiner weiblichen Leibgarde.

Die Szene ist surreal. Ein Despot, der sich Zeit nimmt für die Nöte eines deutschen Eishockey-Klubs? Das reizt beinahe zum Lachen. Aber der Auftritt fordert auch Respekt ein. Der Revolutionsführer besitzt tatsächlich eine Ausstrahlung, der man sich trotz aller kritischen Distanz zu einem Diktator nicht so einfach entziehen kann. Und er liebt die Selbstinszenierung. Kurze Besprechung mit einem Untergebenen. Gaddafis Körper strafft sich, die Miene wird noch eisiger. Ein Zornausbruch: "Jeder kann fragen, was er will." Dass wir am Abend zuvor bei seinem Pressechef unsere Fragen hatten einreichen müssen, passt ihm offenbar nicht.

Wir fragen also, was wir nicht fragen sollten, nach dem im Libanon entführten deutschen Manager Rudolf Cordes. "Wenn es möglich wäre, für alle, die nicht frei sind, etwas zu tun, würden wir es machen", orakelt Gaddafi. Dann verkündet der Despot: "Ich bin für die Wiedervereinigung. Und ich glaube, dass sie kommt." Auf den eigentlichen Anlass der Reise angesprochen, meint er: "Eishockey – ein interessanter Sport. Ich werde hier eine Eishalle bauen."

Nach einer Stunde ist alles vorbei. Vor dem Zelt wartet ein Audi Cabrio. Der Oberst dreht sich noch mehrfach um und winkt uns großmütig zu. Der deutsche Manager Cordes kommt neun Monate später frei. Und nicht einmal zwei Jahre danach fällt die Berliner Mauer.

Iserlohn hat übrigens nur einmal im Trikot mit der Werbung für Gaddafis Grünes Buch gespielt. Das reichte, um den Auftritt sogar in den USA bekannt zu machen. Das US-Fernsehen und die New York Times berichteten über die bemerkenswerte PR-Aktion. "Der Sport darf nicht dazu da sein, kriminelle Elemente und den Terrorismus zu unterstützen", wetterte der damalige Eishockey-Bundestrainer Xaver Unsinn bei. Dem ECD Iserlohn drohte Lizenzverlust, seinen Spielern Sperre, und schließlich war der Club insolvent.

Und Gaddafi hat die Eissporthalle in Tripolis nie gebaut.

(RP)
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