Streit neu entbrannt Dürfen Verfassungsrichter Politik machen?

Berlin · Angesichts der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe ist der Streit zwischen Bundestag und Bundesverfassungsgericht um die Gestaltungshoheit in der Politik neu entbrannt, und zwar so grundsätzlich wie selten zuvor.

Streit neu entbrannt: Dürfen Verfassungsrichter Politik machen?
Foto: dpa SCHROEWIG/Eva Oertwig

Der Konflikt zwischen Union und Verfassungsgericht ist erneut ausgebrochen. Und offensichtlich will Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dieses Mal grundsätzlich klären, wie weit Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle und seine Kollegen Politik und Gesellschaft Vorgaben machen dürfen.

"Zu Recht", so gab Lammert im Interview zu Protokoll, sei auch jüngst wieder eine öffentliche Auseinandersetzung über den Eindruck entstanden, wonach der "Gestaltungsehrgeiz" des Verfassungsgerichtes "über die Aufgabe der Interpretation des Grundgesetzes hinausgeht". Voßkuhle habe sich zu stark in die Familienpolitik, vor allem bei der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften eingemischt. Unlängst hatte sich schon Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Empfehlungen von Voßkuhle zu Sicherheitsgesetzen verbeten: "Wenn Verfassungsrichter Politik machen wollen, mögen sie bitte für den Deutschen Bundestag kandidieren."

Voßkuhle hatte zuvor im Angesicht des Anschlages von Boston vor überzogenen Reaktionen gewarnt. Bei der konkreten Umsetzung solle "wieder Besonnenheit einsetzen". Diese Formulierung war zu viel für Friedrich. "Es wäre freundlich", meinte er mit scharfem Unterton, wenn sich die Verfassungsrichter "an die verfassungsmäßige Ordnung halten und sich nicht in die Tagespolitik einmischen würden."

Schon die sozialliberale Koalition stöhnte über die ständigen Korrekturen aus Karlsruhe. Legendär ist der vom damaligen SPD-Fraktionschef Herbert Wehner kolportierte Kraftausdruck, er wolle sich von "diesen acht Arschlöchern aus Karlsruhe nicht die Ostpolitik kaputtmachen" lassen. Ähnlich verständnislos reagieren jetzt Konservative in der Union auf den verfassungsgerichtlichen Druck zur Gleichstellung von Schwulen und Lesben in allen Rechtsgebieten.

Gerade auf diesem Feld hat sich das Verfassungsgericht selbst in Widersprüche verwickelt. Noch 1959 befanden die Richter, dass homosexuelle Handlungen streng zu bestrafen sind ("bis zu zehn Jahre Zuchthaus") und bestätigten damit ein ohne Parlament zustandegekommenes Nazi-Gesetz. Sie verstiegen sich auch zu heute abstrus klingenden Feststellungen. Der lesbisch veranlagten Frau gelinge das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, "während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen"; homosexuelle Männer seien zwar auch zu Dauerbeziehungen fähig, "jedoch gelingen sie selten", urteilte Karlsruhe. Zumindest pikant klingen solche höchstrichterlichen Feststellungen angesichts der aktuellen Erwartung, dass Karlsruhe auch das volle Adoptionsrecht für schwule Paare vorschreiben wird.

Nicht nur Entscheidungen wie diese wecken Zweifel am Anspruch der Richter, besser als der gewählte Gesetzgeber darüber befinden zu können, welchen Weg Recht und Gesellschaft zu nehmen haben. Auch die immer detaillierteren und zum Schluss sogar als widersprüchlich empfundenen Vorgaben zur Wahlordnung entfachten Groll über die Richter. Die Frustration wächst umso mehr, wenn Politiker für die Karlsruher Entscheidungen in die Pflicht genommen werden: Wenn Abgeordnete selbst über ihre Diäten befinden müssen, wenn der Bundestag aufgebläht wird, selbst wenn gefährliche Wiederholungstäter aus der Sicherungsverwahrung frei kommen — die Politik wird dafür attackiert, dass Richter so entschieden haben.

Voßkuhle bekam umgehend Schützenhilfe. Verfassungsorgane kritisiere man nicht öffentlich, meinte etwa FDP-Vize Christian Lindner. Unionsfraktionschef-Vize Günter Krings gibt zu bedenken,dann wäre ja auch Kritik an Bundesregierung oder Bundestag unzulässig. "Natürlich muss sich auch das Karlsruher Verfassungsorgan einer öffentlichen Diskussion stellen", so Krings. Aufgabe des Gerichtes sei es nicht, "gesellschaftliche Entwicklung in seinen Urteilen aufzunehmen oder politisch kluge Entscheidungen zu fällen." Krings: "Seine Aufgabe ist es einzig und allein, das Grundgesetz auszulegen — Artikel für Artikel".

Dahinter steht auch ein Streit um den Rang. So stellte Lammert klar: "Das Bundesverfassungsgericht ist eines von fünf Verfassungsorganen, aber nicht das höchste."

(may-)
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