Drohung mit Massenmord

Der verhinderte Anschlag auf Fußball-Fans vor dem Dortmunder Stadion bestätigt die schlimmsten Befürchtungen von Kriminalisten und Psychologen: Die Brutalität von Erpressern nimmt weiter zu.

Düsseldorf Bis gestern war Klaus-Peter S. der brutalste Erpresser in der Geschichte der Bundesrepublik: Nachdem am 3. Juni 1998 in Eschede bei der Entgleisung des ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" 101 Menschen starben und 88 schwer verletzt wurden, drohte S. unter dem Namen "Freunde der Eisenbahn" mit einem Massenmord. Er verlangte zehn Millionen Mark. Um zu demonstrieren, dass er es ernst meinte, verübte er etliche Anschläge: Bei Stralsund ließ er einen Güterzug entgleisen, zwischen Hannover und Berlin entging ein vollbesetzter ICE wie durch ein Wunder einem Massenmordversuch. Klaus-Peter S. wurde gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt.

Für das Bundeskriminalamt war Klaus-Peter S. so etwas wie der Prototyp einer neuen Erpresser-Sorte, die sich in der Nachfolge des Kaufhaus-Erpressers Arno Funke ("Dagobert") herausgebildet hatte. Funke war es 1988 gelungen, mit einem Sprengstoffanschlag gegen das Berliner Kaufhaus des Westens 500 000 Mark zu erpressen. Von 1992 verübte er zwei Jahre lang mehrere Bombenanschläge auf Karstadt-Filialen und verlangte 1,4 Millionen Mark. Funke zündete seine Bomben meist nachts. Anders als "klassischen" Erpressern ging es ihm nicht um Anerkennung oder verwirrte Vorstellungen von Gerechtigkeit, sondern schlicht um Geld.

Bis zu Funke beließen es die meisten Erpresser bei bloßen Drohungen oder gaben im Fall von Produkt-Erpressungen gegen Unternehmen und Supermärkte meist genau an, wo sie vergiftete Produkte deponiert hatten. Selten nahmen sie die Verletzung oder gar den Tod von Unbeteiligten in Kauf. Der neue Erpresser-Typus zeichnet sich jedoch aus durch eine Mischung aus Habgier, Heimtücke und Menschenverachtung, die eine neue Qualität hat – und schwer einzugrenzen ist.

Eine Fallstudie des Bundeskriminalamts ergab, dass es sich bei Erpressern zu 99 Prozent um männliche Einzeltäter handelt. Bis Ende der 90er Jahre hatte kein einziger ermittelter Täter Kontakte zur organisierten Kriminalität, beinahe alle (gefassten) Erpresser gaben als Gründe für ihre Taten eine Misch-Motivation aus Verschuldung, sonstiger Geldnot und Schicksalsschlägen aller Art an. Auf Erpressung verfielen sie, um schnell und vermeintlich ungefährlich an Geld zu kommen. Die Erpresser kamen aus nahezu allen Gesellschaftsschichten, in der Mehrheit der Fälle traten sie zuvor nicht kriminell in Erscheinung.

Die meisten Erpresser werden geschnappt. Das Bundeskriminalamt hat zur Aufklärung von Erpressungen in den vergangenen Jahren eine Methode der Fallanalyse entwickelt, die sich darauf konzentriert, unter Zeitdruck bei hoher Opfergefährdung noch während der laufenden Erpressung zu Ergebnissen zu kommen. Dabei geht es vor allem darum, Botschaften des Täters schnell und zutreffend einzuschätzen. Die Methodik, die das BKA dazu entwickelt hat, führte auch im aktuellen Fall zur Verhaftung des Tatverdächtigen: Per Sprach-Profiling konnte der bereits einmal gescheiterte Erpresser identifiziert werden. Die Methodik hilft auch, die Ernsthaftigkeit einer Erpressung einzuschätzen: 60 Prozent aller Erpresser sind nicht ernst zu nehmen, aber zehn Prozent hochgradig kriminell. Und immer brutaler.

(RP)
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