Interview Frank-Walter Steinmeier (spd) "Diplomatie ist nie naiv"

Der Bundesaußenminister über die Lage in Syrien und Israel, das Amt des Bundespräsidenten und die internationalen Lichtblicke 2017.

Berlin Er ist wahrscheinlich nur noch wenige Wochen im Amt. Dennoch hat Frank-Walter Steinmeiers Wort mehr Gewicht denn je - aller Voraussicht nach wird er am 12. Februar zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Steinmeier ist der Kandidat der großen Koalition in Berlin. Die Erfahrung aus dem jetzigen dürfte ihm im neuen Amt zugute kommen. Ein Gespräch über Außenpolitik im Ausnahmezustand.

Herr Steinmeier, die Krise ist in der Außenpolitik der Normalfall geworden, das gilt besonders für Ihre Amtszeit. Machen Sie uns Mut: Warum gibt es 2017 Anlass zu Optimismus?

Steinmeier Es stimmt, wir leben in unruhigen Zeiten. Als Außenpolitiker befindet man sich seit mindestens drei Jahren im dauerhaften Krisenmodus. Krise scheint eher der Normalzustand zu sein. Aber wir sollten nicht vergessen: Es gibt auch Lichtblicke! Schauen Sie zum Beispiel nach Kolumbien. Da gibt es nach einem blutigen Bürgerkrieg, der Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben hat, jetzt endlich eine echte Chance auf Frieden. In Irak, Syrien und Libyen sind die IS-Terrorbanden dank umfassender Anstrengungen der lokalen, regionalen und internationalen Akteure auf dem Rückzug. Und natürlich hoffe ich, dass der Waffenstillstand zwischen dem Regime in Damaskus und den Oppositionsgruppen in Syrien hält und der Einstieg in politische Gespräche über eine Friedenslösung gelingen kann. Die Menschen in Syrien haben nach sechs Jahren eines brutalen Bürgerkriegs eine Perspektive für eine friedliche Zukunft ihres Landes verdient.

Welche Chance geben Sie der neuen Waffenruhe in Syrien?

Steinmeier Dass die Waffenruhe mehr oder weniger hält, ist ein vorsichtiges Hoffnungszeichen für die Menschen in Syrien. Aber erst die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob es gelingt, die Waffenpause zu stabilisieren. Wenn wir etwas aus den gescheiterten Waffenruhen der vergangenen Monate gelernt haben, dann doch dieses: Für die Perspektive auf Frieden braucht es mehr als die Abwesenheit militärischer Konfrontation. Ohne echte politische Verhandlungen und ohne Beteiligung aller relevanten Akteure wird es nicht gelingen, die Kämpfe nachhaltig zu beenden. Staffan de Mistura, der Syrien-Beauftragte der Vereinten Nationen, engagiert sich mit unserer Unterstützung in diesem Sinne. Jetzt bleibt es wichtig - und ich kann das gar nicht oft genug betonen -, dass die Konfliktparteien rasch humanitäre Zugänge zu allen belagerten Orten möglich machen und den Helfern keine Steine mehr in den Weg legen. Das ist gerade im Winter dringlicher denn je! Unsere humanitäre Hilfe steht bereit, und für die Menschen in Aleppo und an anderen lange belagerten und umkämpften Orten geht es ums nackte Überleben.

Durch das Nichteingreifen des Westens konnte das Morden der Russen und Syrer in Aleppo weitergehen. Ist Diplomatie auch naiv?

Steinmeier Diplomatie ist vieles, aber sicher nicht naiv. Im Gegenteil: Es wäre naiv zu glauben, dass man mit militärischen Mitteln die tiefgreifenden Probleme Syriens wirklich lösen kann. Auch Russland weiß das. Das ist sicher einer der Gründe für die jüngsten Verhandlungen mit der Türkei über einen Waffenstillstand. Und was Ihre Frage nach westlichen Militärinterventionen angeht, so kann man vieles fordern, wenn man nicht die Konsequenzen tragen muss. Zumindest sollte man sich aber vorher fragen, ob das militärische Eingreifen in der jüngsten Vergangenheit, etwa im Irak oder in Libyen, zu mehr Stabilität und Sicherheit geführt hat.

Und? Hat es?

Steinmeier Im Irak jedenfalls sorgen wir uns nach Jahren eines blutigen Bürgerkriegs immer noch um die Zukunft des Landes. In Libyen arbeiten wir immer noch daran, so etwas wie staatliche Ordnung wiederherzustellen, die nach der Intervention 2011 zerfallen war. Nicht nur in Libyen, in der gesamten Region sind die Folgen bis heute spürbar: Nicht zuletzt libysche Waffen haben den Konflikt in Mali befeuert, den wir jetzt mühsam zu lösen suchen und wo zur Unterstützung dieses Prozesses heute deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind.

Im Nahen Osten ist die Lage nach dem UN-Beschluss gegen die israelischen Siedlungen eskaliert. Gefährdet der Siedlungsneubau die Zwei-Staaten-Lösung?

Steinmeier Das Existenzrecht Israels, wie die Sicherheit seiner Bürger, gehören zu den unumstößlichen Grundpfeilern unserer Außenpolitik. Auch die meisten meiner Gesprächspartner in Israel sagen mir, dass sich der Nahostkonflikt auf Dauer nur im Rahmen einer zwischen den Parteien verhandelten Zwei-Staaten-Lösung lösen lassen wird. Dabei gefährdet die Fortsetzung des Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten die Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung. Gleichzeitig muss selbstverständlich auch die palästinensische Seite ihren Beitrag leisten und konsequent gegen Gewalt und Terror vorgehen. Nur wenn beide Seiten konkrete Schritte unternehmen, kann überhaupt wieder ein politischer Horizont entstehen, der die Wiederaufnahme von Verhandlungen ermöglicht. Leider sind die Chancen hierfür in jüngster Zeit nicht gewachsen.

Deutschland ist im Juli 2017 Gastgeber des Treffens der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Hamburg. Welche Botschaft soll von dem Treffen ausgehen?

Steinmeier Wir wollen die Globalisierung nicht einfach über uns hereinbrechen lassen. Wir wollen sie aktiv gestalten und in die richtigen Bahnen lenken. Dafür übernehmen wir mit der G 20-Präsidentschaft Verantwortung und setzen dabei drei Schwerpunkte: "Stabilität sichern", "Zukunftsfähigkeit verbessern" und "Verantwortung übernehmen". Außenpolitik muss mehr sein als Krisenmanagement. Wir müssen auch an den langen Linien unserer Politik arbeiten und mit anderen Staaten Strategien darüber erarbeiten, wie wir diese Welt in Zukunft entwickeln wollen. Damit setzen wir ein Zeichen: gegen den Rückzug in nationale Wagenburgen, gegen Abschottung - für internationale Zusammenarbeit, für Dialog und für Offenheit.

Wenn Sie auf Ihre Bilanz als Außenminister schauen: Worauf sind Sie stolz?

Steinmeier Leider ist das Jahresende als Außenminister nicht wie in der Fußball-Bundesliga, wo man in der Winterpause auf die Tabelle schaut, Bilanz zieht und stolz seine Punkte zählt. In der Diplomatie sind die Fortschritte oft weniger offensichtlich. Ich bin auf jeden Fall froh über einige Entwicklungen, die wir in den letzten Jahren angestoßen haben. Mit dem Iran haben wir nach jahrelangen zähen Verhandlungen einen Vertrag abgeschlossen und den Griff Teherans nach der Atombombe verhindert. In Kolumbien haben wir ein wenig helfen können. Die EU haben wir nach dem Brexit-Beben zusammengehalten und vor noch größerem Schaden bewahrt.

Und in der Ukraine-Krise . ..?

Steinmeier . . . haben wir verhindert, dass der Krieg sich auf die ganze Ukraine und möglicherweise darüber hinaus ausbreitet - oft in schwierigen Marathon-Verhandlungen ohne Schlaf, mit Rückschlägen und immer wieder mit Frust, wenn die Umsetzung des Minsker Abkommens nur millimeterweise vorangeht. Und nach einem Jahr Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dürfen wir zufrieden sein, dass wir diese in Zeiten des Konflikts so wichtige Organisation wieder zum Forum zwischen Ost und West gemacht haben. Dass wir mit Unterstützung vieler OSZE-Staaten dazu noch eine neue Abrüstungsinitiative anschieben konnten, ist ein wichtiger Kontrapunkt gegen beunruhigende Aufrüstungstendenzen in Ost und West. Wenn ich auf die fast acht Jahre als Außenminister zurückblicke, dann stelle ich fest, dass deutsche Diplomatie zunehmend gefragt und geschätzt wurde.

Sie stellen sich im Februar zur Wahl als neuer Bundespräsident. Muss heute auch das deutsche Staatsoberhaupt internationaler denken?

Steinmeier Zunächst einmal haben die Delegierten der Bundesversammlung am 12. Februar das Wort. Für mich ist es eine große Ehre, für diese Wahl nominiert zu sein, und ich freue mich über die große Unterstützung aus allen Bereichen der Bevölkerung. Und dass ein Bundespräsident international denken muss, ist Teil seiner Verantwortung und nicht neu, aber der Stellenwert wird möglicherweise größer in Zeiten von internationalen Krisen und Konflikten.

MICHAEL BRÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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