Die Macht der Lobbyisten

Die deutschen Autohersteller pflegen seit Jahrzehnten eine enge Beziehung zu den Regierungen. Dabei ist das sichere Gespür für die Grenze zwischen legal und illegal verloren gegangen.

Diesel: Die Macht der Lobbyisten
Foto: Ferl

Der Präsident des Kraftfahrtbundesamts in Flensburg, Ekhard Zinke, unterschrieb so manche E-Mail an Autokonzerne mit der Signatur "Mit industriefreundlichen Grüßen". Zinke hat sich, nachdem das im Abgasskandal bekannt geworden war, öffentlich dafür entschuldigt. Doch seine Wortwahl ist symptomatisch für die besonders enge Beziehung, die seit Jahrzehnten zwischen der deutschen Autoindustrie und den Regierungsstellen gepflegt wird. Dass der Staat Abgas-Manipulationen nicht selbst entdeckt oder möglicherweise sogar absichtsvoll ignoriert hat, dass er etwaigen Kartellabsprachen nicht selbst auf die Schliche kam oder dass die Bundesregierung in Brüssel auf der Bremse stand, wenn es um strengere Abgas-Regeln oder mehr Klimaschutz ging - all das sind zumindest für die Opposition Indizien für eine unhaltbare Kumpanei zwischen der Automobilwirtschaft und dem deutschen Staat.

In der Tat unterhalten Bund und Länder seit der Nachkriegszeit intensive Beziehungen zu den Autoherstellern, die das Herzstück der deutschen Wirtschaft sind. Weil die Autoindustrie so wichtig für Deutschland ist und Millionen Beschäftigte von ihr abhängen, ist es - um es mit einer neuen Vokabel des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) zu sagen - auch die "verdammte" Pflicht jedes Wirtschaftspolitikers zu wissen, wie es der Branche gerade geht und was sie braucht, um zu gedeihen. Allerdings scheint Vertretern beider Seiten über die Jahre das sichere Gespür dafür abhandengekommen zu sein, wo die feine Linie zwischen Legalität und Illegalität verläuft.

Die Autolobbyisten waren in all den Jahren äußerst einflussreich. Ihnen kann man nicht vorwerfen, dass sie ihre Arbeit getan haben, allerdings waren sie wohl zu skrupellos. Die staatliche Seite trifft ein härterer Vorwurf, denn sie ließ sich von Lobbyisten einwickeln. Die Branche habe sich "zu sicher" gefühlt, gestand Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in dieser Woche ein. "Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenheit zu häufig an Distanz zur Automobilindustrie hat mangeln lassen", sagte sie.

Die Autoindustrie hat sich gezielt Persönlichkeiten aus dem politischen Betrieb ausgesucht, die sie für viel Geld anstellte, um ihre Interessen in Berlin zu vertreten. Da ist zuerst Matthias Wissmann, seit 2007 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Der 68-Jährige saß in den 90er Jahren als Bundesverkehrsminister für die CDU neben der damaligen Umweltministerin Angela Merkel am Kabinettstisch von Kanzler Helmut Kohl. Wissmann unterhält seitdem zu Merkel eine vertrauensvolle Beziehung - die beiden sind per Du. Der Ludwigsburger gehört zu dem erlesenen Kreis von 100 Menschen, die Merkels Handynummer besitzen. In der Finanzkrise setzte Wissmann die staatliche Abwrackprämie durch. Er hat die Bundeskanzlerin auch davon überzeugt, in Brüssel für weniger strenge CO2-Grenzwerte zu kämpfen, denn die deutschen Hersteller mit ihrer Premium-Flotte konnten oder wollten die ehrgeizigen EU-Ziele nicht erfüllen. Auch bei der staatlichen Elektro-Kaufprämie hat Wissmann nachgeholfen. Jetzt trommelt er gegen ein Ausstiegsdatum für den Verbrennungsmotor, wie es Großbritannien und Frankreich anstreben - derzeit mit Erfolg. Wissmann traf sich allein in der vergangenen Legislaturperiode 40 Mal mit der Kanzlerin oder verschiedenen Ministern.

Direkt aus dem Kanzleramt engagierte Daimler kurz vor der letzten Bundestagswahl den früheren Staatsminister Eckart von Klaeden als Cheflobbyisten. Die Empörung über dessen Seitenwechsel war groß, die Staatsanwaltschaft leitete sogar ein Verfahren wegen des Anfangsverdachts der Vorteilsnahme ein, das aber 2015 eingestellt wurde. Der Wechsel des 51-Jährigen führte zu der Regel, dass Politiker jetzt erst nach einjähriger Karenzzeit in die Wirtschaft wechseln dürfen. Dass Daimler seine Selbstanzeige über mögliche Kartellabsprachen schneller als VW bei den Kartellbehörden eingereicht hatte, dürfte auf von Klaeden zurückgehen. Wegen der Kronzeugenregelung könnte Daimler nun einer Milliardenstrafe entgehen. Der Lobbyist hätte sich dann mehr als bezahlt gemacht.

Auch bei anderen Parteien bedienten sich die Konzerne. Thomas Steg, der von der SPD entsandte Vize-Regierungssprecher und Vertraute sowohl des "Autokanzlers" Gerhard Schröder als auch Merkels, wechselte 2012 als eine Art Außenminister zu VW. BMW hat seinen Cheflobbyisten in Maximilian Schöberl im Umfeld der CSU gefunden. Er war in den 90er Jahren enger Mitarbeiter von Bundesfinanzminister Theo Waigel.

Die Autoindustrie schrieb sogar an Gesetzen mit. 2013 kam heraus, dass Passagen eines Gesetzestextes für schärfere Lärmgrenzwerte aus dem Rechner des damaligen Leiters der Akustikabteilung von Porsche stammten. Sportwagen und Premiumfahrzeuge wurden von den Grenzwerten ausgenommen.

Wie gut die Lobbyisten auch in Zeiten des Abgasskandals arbeiten, zeigt sich daran, dass vor dem Diesel-Gipfel schon wieder über neue staatliche Kaufanreize für moderne Dieselfahrzeuge verhandelt wurde. Nicht nur Ministerin Hendricks hielt das für eine Farce - die Kaufanreize sind wohl vom Tisch.

(mar)
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