Kolumne: Berliner Republik Die Zyklen der Politik
Berlin · Die Parteien betonen ihre Unterschiede – bis zum nächsten Wahlsieg der Mitte.
Nicht nur die Tier- und Pflanzenwelt, unser gesamtes Alltagsleben ist Zyklen unterworfen: die Länge von Rocksäumen, die Farbe von Autos, Urlaubsziele, Ernährungstipps, Frisuren – „das hatten wir schon mal“ oder „kommt alles wieder“ sagen diejenigen mit mehr Lebenserfahrung. In der Politik lassen sich auch Zyklen und Modeerscheinungen finden. Familienbilder von Spitzenpolitikern beispielsweise sind gerade out, während die Zur-Schau-Stellung des eigenen Lebens in sozialen Netzwerken Hochkonjunktur hat.
Schwer angesagt ist es auch, dass die Parteien wieder unterscheidbarer werden wollen. Während die politische Landschaft der frühen Bundesrepublik ganz einfach in rechts und links, in schwarz und rot eingeteilt war, definierte Gerhard Schröder für sich „die neue Mitte“ und ließ sich von großen Teilen des aufgeklärten Bürgertums zum Kanzler wählen. Die einstigen Schröder-Wähler haben sich längst den Grünen oder Merkel zugewandt. Die Kanzlerin wiederum trieb im Dauerbündnis mit der SPD die Mitte-Politik derart auf die Spitze, dass dies nur noch als gleichgültiges Verwalten und Geldverteilen mit der Gießkanne wahrgenommen wurde.
Nachdem sich die Wähler daraufhin den Parteien am rechten und linken Rand oder mit eindeutigem Profil zuwandten, eifern die schwächelnden Volksparteien nach mehr Profil. Doch wie man über neue Frisuren oder Klamotten lacht, weil sie wie aus einem früheren Jahrzehnt wirken, kann die Retro-Politik nicht überzeugen. Wenn die SPD wieder auf Klassenkampf setzt und die Union gesellschaftliche Liberalisierung zurückdrehen möchte, vergessen sie, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Die Grünen machen sich diese Selbstverständlichkeit gerade zunutze. Die Rückkehr der politischen Mitte als Zielgruppe der Volksparteien ist eine Frage der Zeit.
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Autorin: kolumne@rheinische-post.de
