Simferopol Die Wut der Russen auf der Krim

Simferopol · Nach dem Machtwechsel in der Ukraine brodelt es auf der Halbinsel. Die überwiegend russischsprachige Bevölkerung wehrt sich gegen den neuen Kurs in Kiew. Moskau schürt den Separatismus mit geschickt orchestrierten Aktionen.

Olivgrüne Armeelastwagen ohne Kennzeichen parken vor dem Flughafen von Simferopol, die Terminals sind umstellt von Soldaten. Sie tragen Sturmhauben, Gefechtshelme, kugelsichere Westen und den typischen Tarnfleckanzug der russischen Armee. Doch Abzeichen haben sie keine. "Guten Tag, aus welchem Land kommen Sie?" – die unheimliche Patrouille antwortet nicht auf diese Frage. Schweigend marschieren die Männer an den vielen Reportern und Kamerateams vorbei, die vor dem Flughafengebäude warten.

Nach dem Machtwechsel in der Ukraine wird die russischsprachige Krim zum Schauplatz separatistischer Unruhen. Vieles spricht dafür, dass die gut koordinierten Aktionen von Moskau orchestriert werden. Es gab offenbar auch einen Übergriff auf den Flughafen von Sewastopol, etwa 80 Kilometer südwestlich. Die Soldaten haben moderne Schnellfeuergewehre, Nachtsichtgeräte und einheitliche Uniformen, was auf russische Spezialkräfte, nicht auf örtliche Milizen schließen lässt.

Am Donnerstag hatte das Regionalparlament in Simferopol beschlossen, am 25. Mai ein Referendum abzuhalten über die Frage, ob man der Autonomen Republik den Status eines Staates einräumen soll. Zuvor war das Parlament von Bewaffneten gestürmt worden. Die Abgeordneten setzten außerdem den bisherigen Gebietschef ab und wählten den Nationalisten Sergej Aksjonow von der Partei "Russische Einheit" zum Nachfolger.

In der Nacht zu gestern hatten die mysteriösen Kombattanten den Flughafen Simferopol unter ihre Kontrolle gebracht. Unterstützt werden sie von prorussischen Zivilisten, die nun ebenfalls Wache stehen. Angeblich schützen sie den Flughafen vor revolutionär gesinnten Reisenden aus Kiew. "Wir wollen, dass hier Recht und Ordnung eingehalten wird", sagt Igor Pilipenko. Der stämmige Mann in der Daunenjacke ist Vertreter der Partei "Russische Einheit" und koordiniert die Zivilisten. Woher die Soldaten kommen? Igor gibt sich unwissend.

Der Flughafen arbeitet im regulären Betrieb. Doch viele der Passagiere, die gerade zu einem Flug nach Moskau einchecken, wirken verängstigt. "Ich möchte das jetzt nicht kommentieren", sagt eine Frau mit vor Angst weit aufgerissenen Augen. Später am Nachmittag heißt es, die Bewaffneten hätten den Flughafen wieder verlassen. Doch die Lage nicht nur in Simferopol, sondern auf der ganzen Krim bleibt angespannt und unübersichtlich.

Im Internet verbreiten sich Aufnahmen, wie acht russische Militärhubschrauber auf dem Flughafen der Hafenstadt Sewastopol landen. Dort hat die russische Schwarzmeerflotte ihren Stützpunkt. Versprengte Einheiten der "Berkut"-Einsatzpolizei, die vom Innenministerium in Kiew eigentlich aufgelöst wurde, sollen an den Zufahrtsstraßen zur Halbinsel Kontrollpunkte aufgebaut haben.

Der neue Regional-Regierungschef Aksjonow gibt sich ebenfalls aggressiv: Auf die Frage, ob eine russische Militärintervention denkbar sei, sagt er: "Momentan gibt es dazu keine Notwendigkeit." Man könne aber nichts ausschließen. "Ich hoffe, dass eine Wiederholung des süd-ossetischen Szenarios nicht stattfindet", so Aksjonow in Anspielung auf den russisch-georgischen Krieg 2008, der mit einer De-facto-Annektierung der Region Süd-Ossetien durch Russland endete.

Vor dem Parlamentsgebäude in Simferopol, einem hässlichen eckigen Sowjetklotz, haben sich auch gestern wieder Tausende Demonstranten versammelt. Kosaken stehen Wache, russische Fahnen wehen, aus den Lautsprechern tönt der Marsch "Moskau! Deine Glocken klingen". Die kaufmännische Angestellte Natalja (35) redet sich in Rage: "Das ist doch ein Umsturz, was da in Kiew passiert ist." Was sie am meisten ärgert: Gleich nach dem Machtwechsel hat das Parlament in Kiew beschlossen, ein Gesetz rückgängig zu machen, das Russisch als zweite Amtssprache im Osten und Süden des Landes zuließ. "Wir haben ein Recht auf unsere Sprache. Das ist kein Separatismus, wir sind Russen, aber wir achten auch die Ukrainer und die Krimtataren", zürnt die Demonstrantin.

Es sind nicht die Wendegewinner, die hier protestieren. Viele Frauen tragen abgeschabte Wintermäntel, die Männer Schlägermützen, grelle Windjacken und ausgebeulte Hosen. Ähnlich wie die Menschen auf dem Maidan sind auch die pro-russischen Demonstranten in Simferopol frustriert von dem Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch. "Aber jetzt sind in Kiew Nationalisten und Faschisten an der Macht", sagt der Arbeitslose Igor (46). Außerdem gefällt es ihm nicht, dass der Westen versuche, die Ukraine in die EU zu zerren. Wäre es denn besser für die Krim, wieder zu Russland zu gehören? Igor verneint: "Wir wollen selbstständig werden. Das der einzige Weg."

Unterdessen hat die Linke im Bundestag die Vereinten Nationen dazu aufgerufen, ein Auseinanderreißen der Ukraine zwischen der EU und Russland zu verhindern. "Ich würde es begrüßen, wenn die Vereinten Nationen eine Vermittlerrolle in dem Konflikt übernehmen", sagte Linken-Parteichef Bernd Riexinger unserer Zeitung. Alles müsse der Suche nach einer friedlichen Lösung untergeordnet werden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort