Werner Weidenfeld "Die Welt wird 2015 noch unfriedlicher"
Düsseldorf · Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld spricht im Interview mit unserer Redaktion über den neuen Ost-West-Konflikt, Lösungen für den aktuellen Konflikt in der Ukraine und über die transatlantische Partnerschaft.
Weidenfeld Die Welt ist aus den Fugen geraten. Und das wird sich vertiefen. Wir stehen vor einer neuen Sicherheitsfrage. Die großen Krisen sind aus dem disziplinierenden Zugriff einer weltpolitischen Architektur entlassen worden. Es gibt keine Mächte, die diese Krisen einzäunen.
Was ist mit der einzig verbliebenen Großmacht USA?
Weidenfeld Die sind überfordert. Früher gab es den Ost-West-Konflikt mit zwei dominanten Supermächten. Da saßen in Moskau und in Washington beziehungsweise bei der Nato in Brüssel Eliten, die über nichts anderes nachgedacht haben als darüber, was der jeweils andere denkt. Das hat alles diszipliniert — trotz der gigantischen Militärapparate auf beiden Seiten. Das fehlt jetzt, weil auch die USA keine dominante Weltmacht mehr sind oder sein wollen. Stattdessen haben wir viele Mächte — nach den USA zweifellos China, dann Russland, Indien, Japan, Brasilien und irgendwo dazwischen Europa.
Warum bildet sich zwischen diesen Mächten kein Gleichgewicht?
Weidenfeld Es fehlt diesen Mächten der strategische Weitblick. Sie wissen zu wenig voneinander.
Woran kann man das erkennen?
Weidenfeld Nehmen Sie die aktuellen Beispiele Libyen, Syrien oder Iran: Dort greift niemand mehr ein, weil es die strategischen Eliten nicht mehr gibt.
Die Welt wird also 2015 unfriedlicher?
Weidenfeld Das ist zu befürchten. Es gilt nicht mehr das Prinzip der Abschreckung. Das macht alles riskanter und unberechenbarer. In Zeiten des Ost-West-Konflikts musste jeder Aggressor mit einem großen eigenen Schaden rechnen, wenn er angriff. Das war das Grundprinzip der Abschreckung ...
... das heute nicht mehr funktioniert?
Weidenfeld Wenn beim Tod das Paradies winkt, sicher nicht. Wir haben heute perfekte terroristische Netzwerke, die Elemente des Cyberwars und anderes. Da wissen Sie nicht, wo der Feind steht. Das wird alles in nächster Zeit noch zunehmen.
Die Welt könnte gegen solche Gefahren auch zusammenstehen.
Weidenfeld Leider ist das nicht der Fall, weil außerdem eine asymmetrische Verfügung über Rohstoffe, Technologie und Energie besteht. Das lädt zu Konflikten förmlich ein.
Gibt es auch eine optimistische Variante?
Weidenfeld Ja, wenn man diesen Prozess als Herausforderung sieht. Die Politik ist unter Druck geraten und muss lernen. So wurden etwa erst in der Euro-Krise die notwendigen Korrekturen vorgenommen, die zur Existenzsicherung der Währungsunion gehören. Die Probleme waren vorher alle bekannt, aber in der Schönwetterperiode des Euro hat sich keiner darum gekümmert.
Was ist also weltweit zu tun?
Weidenfeld Die großen Mächte müssen strategische Partnerschaften eingehen und ihre Defizite bei der Betrachtung des jeweils anderen beseitigen.
Kann so auch die Ukraine-Krise gelöst werden?
Weidenfeld Das hätte viel früher geschehen müssen — wie auch in den anderen Konfliktfeldern Tunesien, Ägypten oder Syrien. Wir interessieren uns für solche Entwicklungen immer erst dann, wenn es knallt. Dann es ist zu spät. Die russischen Eliten waren tief gekränkt, weil sie nicht ernst genommen wurden. Die Korrektur ist jetzt ziemlich blutig und kostspielig.
Was schlagen Sie vor?
Weidenfeld Wir brauchen dringend einen strategischen Dialog. Jetzt ist vieles erst einmal zerstört. Trotzdem gilt es, von einer schlechteren Basis aus, wieder gemeinsame Interessen herauszufiltern, Netzwerke aufzubauen und einen Interessenausgleich herbeizuführen. Das jüngste Beispiel der amerikanisch-kubanischen Annäherung zeigt, dass auch langjährige Konflikte gelöst werden können.
Wie steht es um die transatlantische Partnerschaft, die zuletzt arg ramponiert wurde?
Weidenfeld Es hat sich vieles entfremdet — trotz der Einigkeit im Konflikt mit Putin. Das reicht von der Abhöraffäre bis zu den Folterbildern, worüber vor allem Deutschland höchst irritiert ist. Und diese Irritation verwundert wiederum die Amerikaner, die nicht zimperlich sind, wenn es um die Rettung ihrer Nation geht. Deshalb verstehen sie die Europäer und insbesondere die Deutschen nicht.
Wird die Kluft in Zukunft größer?
Weidenfeld Wenn die Akteure nicht handeln, dann ja. Aus der Kooperation der 50er und 60er Jahre hat sich die Nato-Kultur entwickelt. Darauf muss man sich wieder besinnen. Zugleich muss Europa weltpolitisch handlungsfähiger werden, damit das amerikanische Interesse wieder wächst. Jetzt nutzen die USA Europa nur als Station für eine Zwischenlandung.
Martin Kessler führte das Interview.