Analyse Merkels unmögliche Mission

München · Der Westen will in der Ukraine zuerst den Waffenstillstand, dann die Anerkennung der ukrainischen Souveränität, um schließlich zu einer partnerschaftlichen Beziehung mit Russland zu kommen. Putin erwartet das umgekehrte Vorgehen. Kanzlerin Merkel versucht zu vermitteln.

Münchener Sicherheitskonferenz - die wichtigsten Aussagen
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Die wichtigsten Aussagen von der Münchener Sicherheitskonferenz

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Foto: dpa, tha fdt

"Schneller und härter" hat die Welt nach den Erfahrungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier von Deutschland den Nachweis seines Versprechens eingefordert, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. In diesen Tagen kommt es noch sehr viel dramatischer, sehr viel härter: Die Bundeskanzlerin muss die Frage nach Krieg und Frieden in Europa klären. Sie setzt alles auf eine Karte und legt sich dabei in beispielloser Weise auch mit dem engsten Verbündeten in Washington an. Die USA hatten die deutsche Führung mehr und mehr eingefordert und müssen nun, beginnend mit der Münchner Sicherheitskonferenz, die irritierende Erfahrung machen, sich sogar Angela Merkels Festlegungen fügen zu sollen.

Im Umfeld von Merkels USA-Reise herrscht auf der amerikanischen Seite deshalb dicke Luft. Die Amerikaner versuchen, den Druck auf Merkel zu erhöhen, weil sie ein Einknicken der Deutschen vor den Russen argwöhnen und als Motiv deutsche Sorgen um eine Belastung ihrer Wirtschaft vermuten.

Doch die Basis zwischen beiden Ländern ist noch dieselbe: Beide wollen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die völkerrechtswidrige Besetzung und Annexion der Krim nicht durchgehen lassen. Und sie wollen ihn als Urheber der brutalen Gefechte in der Ost-Ukraine herausstellen. Doch Amerikaner gewinnen in Senat und Repräsentantenhaus die Überzeugung, dass zusätzliche Waffen nötig sind, um die Ukraine nicht ihrem Schicksal zu überlassen.

Merkel begehe den verhängnisvollen Fehler einer Politik der Zugeständnisse, heißt es. Es gehe nicht um martialische Offensivwaffen, sondern darum, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nicht mehr tatenlos zusehen soll, wie die Separatisten mit schwerer Artillerie vorrücken. Er müsse moderne Abwehrwaffen haben, um den russischen Nachschub aufklären und bekämpfen sowie separatistische Artilleriestellungen aufspüren und ausschalten zu können.

Doch solche modernen Waffensysteme können nicht kurzfristig ohne aufwendige Schulung des Bedienungspersonals in der Ukraine eingesetzt werden. US-Militärs würden unweigerlich Beteiligte. Die Amerikaner täten Putin damit den Gefallen, genau das zu realisieren, was dieser seit Monaten behauptet: Dass der Konflikt von den amerikanischen Militärs angeheizt worden sei und die Russen deshalb den befreundeten Separatisten zur Hilfe eilen müssten. Hinzu kommt das deutsche Argument, dass die Amerikaner Gefahr liefen, am Ende mit Waffenlieferungen nicht Stärke gezeigt, sondern Schwäche bewiesen zu haben; schließlich werde Putin sich von ein paar amerikanischen Waffen in der Ukraine nicht einschüchtern lassen, sondern sie erst recht auszuschalten versuchen, um die russische Überlegenheit gegenüber dem Westen dokumentieren zu können.

Bei allem auch auf offener Bühne ausgetragenen Zerwürfnis scheint es den Diplomaten hinter den Kulissen gelungen zu sein, die aktuellen Zeitpläne zu synchronisieren: Heute können sich Merkel und Obama in Washington darauf verständigen, welche deutlich verschärften Sanktionen gegen Russland vorbereitet werden. Gezogen wird die Karte jedoch erst im Licht der Verhandlungen beim Gipfel in Minsk am Mittwoch - und zwar bei dem am Donnerstag beginnenden Europäischen Rat in Brüssel. Sollte es keinen Durchbruch geben, brandet unwillkürlich auch die Debatte wieder auf, ob der Westen Poroschenkos Ruf nach Waffenhilfe nachkommen soll.

Sicherheitsexperten sind von den eindeutigen Positionierungen Merkels überrascht. Angesichts des gewaltigen US-Drucks auf Waffenlieferungen hätte Merkel gut daran getan, sich selbst durch vorsichtigere Formulierungen eine verbale Rückzugsmöglichkeit vorzubehalten. Stattdessen tritt sie eindeutig gegen westliche Waffenlieferungen ein, da diese den Konflikt nicht entschärften, sondern nur weiter eskalieren könnten. Merkel denkt in drei Stufen: Den Konflikt zunächst begrenzen, ihn dann entschärfen und schließlich Raum für spätere Lösungen gewinnen.

Die Begrenzung liegt darin, die in Minsk im vergangenen September gezogenen Frontverläufe zu aktualisieren. In der Zwischenzeit haben die Separatisten Gebiete von mehr als 1000 Quadratkilometer hinzuerobert, ukrainische Streitkräfte und Städte eingekesselt und unter Artillerie-Beschuss genommen. In Minsk sollen offenbar neue Linien gezeichnet werden, ohne von den schon vereinbarten Prinzipien abzuweichen: dass westlich und östlich dieser Linie eine entmilitarisierte Pufferzone vereinbart wird, aus der in einem ersten Schritt binnen weniger Tage beide Seiten ihre schweren Waffen zurückziehen und zu einem späteren Zeitpunkt auch die immer wieder aufflammenden Gefechte abebben.

Der Westen will zuerst den Waffenstillstand, dann die Anerkennung der ukrainischen Souveränität, um schließlich zu einer partnerschaftlichen Beziehung mit Russland zu kommen. Putin erwartet das umgekehrte Vorgehen: Zuerst den Nachweis des Westens, dass er seine künftige Sicherheitsarchitektur nicht gegen oder ohne, sondern nur mit Russland entwickeln will.

Die aufeinanderprallenden Strategien wird die Kanzlerin jedoch nicht in Minsk und nicht in wenigen Monaten auflösen können. Wenn sie es denn überhaupt kann.

(may-)
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