Washington Die Sittenskandale von Washington

Washington · Der US-Kongressabgeordnete Anthony Weiner ist über die Veröffentlichung schlüpfriger Bilder im Internet gestolpert. Ausgerechnet im puritanischen Amerika verlieren immer wieder hohe Repräsentanten ihr Amt – haben allerdings die Chance auf eine Rückkehr.

Immerhin gibt es noch Larry C. Flynt. Der Herausgeber des Männermagazins "Hustler" reagierte sofort. Kaum hatte Anthony Weiner mit zerknirschter Miene das Handtuch geworfen, sandte er ihm auch schon ein Stellenangebot zu. Flynt will dem Abgeordneten 20 Prozent mehr zahlen, als er zuletzt im US-Kongress verdiente, und selbstverständlich auch die Umzugskosten nach Beverly Hills erstatten. Nein, das sei kein Scherz, stellte der eigenwillige Porno-Publizist in einem Brief klar. "Ihr unglücklicher Rücktritt ist das beste Beispiel für den grundlosen politischen Druck und die Heuchelei, die sich unserer Demokratie in Washington bemächtigt haben."

Wenigstens ein Sympathisant, der sich öffentlich zu Wort meldet. Ansonsten steht Weiner, gestürzt über Cybersex, allein auf weiter Flur, wobei sich der Eindruck aufdrängt, dass eine virtuelle Sexaffäre strenger geahndet wird als eine tatsächliche, jedenfalls im Diskurs der US-Hauptstadt. Nancy Pelosi, die Chefin seiner Parlamentsfraktion, hatte ihn seit Tagen zum Aufhören gedrängt. Sogar der Präsident hatte sich eingeschaltet, mit einem ganz und gar nicht blumigen Satz: "Ich an seiner Stelle würde abtreten", empfahl Barack Obama.

Nein, im Lande der Puritaner ist so etwas keine Privatsache. Drei Wochen lang kannte der Kongress kein wichtigeres Thema als "Weinergate", obwohl andere Aufgaben drängen, etwa das Aushandeln eines Kompromisses zum Anheben der Schuldenobergrenze, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden.

Es begann damit, dass der 46-jährige Demokrat nach einem Chat via Twitter Intimfotos an eine Studentin in Seattle verschickte, Aufnahmen einer prall gefüllten Unterhose. Weil das Internet nun mal keine Geheimnisse kennt, wurden die Bilder im Handumdrehen publik, ergänzt um Plaudereien einer Blackjack-Dealerin und einer Pornodarstellerin, die ähnliche Fotos erhalten hatten. Was der Sache zusätzliche Würze verlieh: Weiner ist seit elf Monaten verheiratet mit Huma Abedin, einer eleganten Schönheit mit pakistanischen Wurzeln. Abedin wiederum arbeitet als Assistentin bei Außenministerin Hillary Clinton, womit fast zwangsläufig der mediale Bogen geschlagen war zu Bill Clinton und dem, was Amerikaner seit Monica Lewinsky nur noch "presidential sex" nennen.

Ob es das Ende einer vielversprechenden Karriere ist? Das Aus für Weiner, der 2013 Bürgermeister New Yorks werden wollte? Nicht unbedingt. Gene Grabowski, eine Koryphäe auf dem Gebiet des Krisenmanagements für gestrauchelte Prominente, sieht durchaus die Chance eines strahlenden Comebacks. Zumindest, sofern der Abgestürzte ein paar Grundregeln beherzigt. Erstens: Reue zeigen. Zweitens: Kärrnerarbeit leisten, sich quälen. Drittens: den Neuanfang gut inszenieren. "Die Leute in diesem Land lieben die Wiedergeburt", sagt der PR-Experte.

Als Paradebeispiel dient Marion Barry, der frühere Bürgermeister Washingtons, der von einer Kamera des FBI gefilmt wurde, als er mit einer Geliebten Kokain nahm – und vier Jahre später erneut gewählt wurde. "Er ging ins Gefängnis, entdeckte die Religion, sang christliche Lieder und war wieder da", bringt Grabowski es auf den Punkt. David Vitter, ein verheirateter Senator aus Louisiana, ließ sich von der Betreiberin eines Prostituiertenrings regelmäßig Callgirls vermitteln. Nach seinem Mea culpa, vorgetragen mit zitternder Stimme, durfte er weiter in der illustren Senatskammer sitzen. Eliot Spitzer, bis vor drei Jahren Gouverneur des Bundesstaates New York, bestellte Edelhuren auf Hotelzimmer und musste seinen Hut nehmen. Heute führt er bei CNN durch eine Talkshow.

Schließlich Clinton, dem 65 Prozent der Amerikaner gute Arbeit bescheinigten, als er 2001 das Oval Office verließ. Lanny J. Davis, einst Clintons Rechtsberater, sieht denn auch feine Unterschiede zwischen Medienrummel und Realität. Der amerikanische Normalverbraucher, glaubt er, wisse genau zu unterscheiden "zwischen menschlicher Schwäche und der Leistung im Amt". Vielleicht, will er damit sagen, geben sich Politiker ja puritanischer als ihre Wähler.

(RP)
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