Analyse Die Sezession muss legal werden

Gastbeitrag Im Katalonien-Konflikt ist viel von "politischer Justiz" die Rede. Das ist Unfug - der spanische Staat musste auf den katalanischen Rechtsbruch hart reagieren. Die Gerichte sollten aber nicht das letzte Wort haben.

Seit Monaten tobt in Spanien ein politischer Flächenbrand - der Konflikt um Katalonien. Die Frage, wer diesen Brand gelegt hat und wer verantwortlich dafür ist, ihn zu löschen, bewegt inzwischen ganz Europa. Vereinfacht gesagt: Brandstifter sind die katalanischen Separatisten. Die Zentralregierung und die nicht separatistischen Kräfte waren als Feuerwehr allerdings auch nicht allzu tüchtig.

Der Katalonien-Konflikt ist Jahrzehnte alt; er ist zuletzt nur extrem eskaliert. Die spanische Politik hätte längst wenigstens versuchen müssen, ihn dauerhaft zu lösen. Das ist nicht geschehen; zugleich ist das katalanische Nationalgefühl in jüngster Zeit so stark gewachsen wie nie zuvor. 2015 stimmten bei der katalanischen Parlamentswahl 48 Prozent der Wähler für separatistische Parteien; 75 Prozent der Katalanen wünschen sich eine legale Abstimmung über die Unabhängigkeit.

Sinnvoll wäre eine Änderung der spanischen Verfassung. Nach dem Vorbild des EU-Austrittsverfahrens könnte man ein neues Sezessionsverfahren mit qualifizierten Mehrheiten im Regionalparlament und in einer Volksbefragung schaffen. Aber das zentralistische Staatsorganisationsverständnis der konservativen Volkspartei und die eher konföderale - wenn nicht separatistische - Einstellung der katalanischen Nationalisten widersprechen sich so sehr, dass eine solche verfassungsrechtliche Abmachung weit entfernt ist. Allerdings hat sich in Umfragen schon mehr als die Hälfte der Spanier mit einer legalen Volksabstimmung für Katalonien einverstanden erklärt.

Die politische Unfähigkeit, einen Ausweg aus dem Katalonien-Konflikt zu finden, rechtfertigt trotzdem nicht das rechtswidrige Handeln der Separatisten. Ihr Rechtsbruch hat dem Brand weitere Nahrung gegeben. Kataloniens Regierung und Parlament haben bewusst und wiederholt die vielfältigen Entscheidungen des spanischen Verfassungsgerichts missachtet, das die Verfassungswidrigkeit der Sezession und des Unabhängigkeitsreferendums festgestellt hat. Die Separatisten haben sogar zwei Gesetze zur Durchführung der Volksabstimmung vom 1. Oktober und zum Übergang zur katalanischen Republik beschlossen, und sie haben gleichzeitig das Volk aufgerufen, Widerstand gegen die angebliche Unterdrückung durch den spanischen Staat zu leisten.

Darauf konnte Madrid nur durch Anwendung der Gesetze, nicht mit politischen Verhandlungen reagieren. Um der in der Verfassung verankerten Staatseinheit Geltung zu verschaffen, hat die spanische Regierung am 27. Oktober Artikel 155 der Verfassung angewendet. Er erlaubte, das katalanische Parlament aufzulösen, Neuwahlen zum Regionalparlament auszurufen und den Regionalpräsidenten Carles Puigdemont sowie den Rest seines Kabinetts ihrer Ämter zu entheben.

Dass Spanien ein Rechtsstaat ist, in dem Straftäter für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden, hat den Brand paradoxerweise weiter angefacht. Wie das deutsche sieht das spanische Strafgesetzbuch vor, dass die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Widerstand oder tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte, Rechtsbeugung und Subventionsbetrug rechtswidrige strafbare Handlungen sind. Der Gesetzesbruch, nicht seine politischen Ideen haben Herrn Puigdemont, sein Kabinett und das katalanische Parlamentspräsidium vor Gericht gebracht.

Wenn die Beschuldigten die rechtliche Einordnung ihrer Handlungen anzweifeln oder ihre Grundrechte etwa durch die Untersuchungshaft verletzt sehen, dann stehen ihnen verschiedene Rechtswege zur Verfügung - einschließlich der Verfassungsbeschwerde vor dem spanischen Verfassungsgericht. Deswegen sollte kein ernsthafter Jurist von "Gewissensgefangenen" oder von "politischer Justiz" reden, wenn er über Spanien spricht.

Es ist unzweifelhaft, dass Spanien eine Demokratie ist. Allen politischen Gruppen stehen die Möglichkeiten des Gesetzgebungsverfahrens offen. Das gilt für die Separatisten wie in Katalonien, für die Republikaner, die die Monarchie abschaffen wollen, und sogar für Islamisten. Alle diese Gruppen haben die Möglichkeit, eine Verfassungsänderung vorzuschlagen - unter anderem könnte das katalanische Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf ins spanische Parlament einbringen. Die katalanischen Separatisten haben aber diesen verfassungsmäßigen Weg nie auch nur versucht. Stattdessen haben sie bewusst den Weg der Rechtswidrigkeit gewählt - und damit haben sie sich strafbar gemacht.

In einem Rechtsstaat hört die Politik an dem Punkt auf, an dem die Gerichtsbarkeit ihre Arbeit beginnt. Die Justiz aber muss nicht das letzte Wort haben. Der rechtliche Streit lässt Raum für eine Verfassungspolitik, die unter Achtung der Gesetze nach einem dauerhaften Kompromiss sucht - so unwahrscheinlich er in der jetzigen Lage auch erscheinen mag. Das hieße, dass die katalanischen Separatisten auf rechtswidriges und einseitiges Handeln verzichten und die Folgen ihrer rechtswidrigen Handlungen tragen müssten.

Andererseits müssten die nicht separatistischen Parteien auch die bisher unantastbare politische Idee der nationalen Einheit aufgeben. Sie müssten offen und in gutem Glauben Verhandlungen zustimmen, die zu einem Ausweg führen könnten. Dieser Ausweg wäre eine Verfassungsänderung, die ein plurinationales Spanien festschriebe, das seine Minderheiten schützt. Und die die Abspaltung als legale Möglichkeit akzeptiert, wenn eine Volksgruppe diesen Wunsch wiederholt durch qualifizierte, langfristig stabile Mehrheiten ausdrückt.

Der Autor Benito Aláez Corral (49) ist Professor für Verfassungsrecht an der Universität Oviedo (Spanien).

(RP)
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