Schlechte Stimmung Die Rückkehr der "Gurkentruppe"

Berlin · Die Stimmung in der großen Koalition ist ähnlich schlecht wie seinerzeit, als sich Union und FDP als "Gurkentruppe" und "Wildsau" beschimpften. Wegen der BND-Affäre liegen die Nerven blank, und in Bayern stänkert die CSU gegen die SPD.

Die Sitzungswochen in Berlin folgen festen Terminplänen. Dazu gehören die Frühstücke der Parlamentsgeschäftsführer mit Journalisten. Alle im Bundestag vertretenen Parteien nutzen die Gelegenheit, ihre Sicht auf die wichtigen Termine der Woche zu vermitteln.

An diesem Morgen kann der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, erst einmal nicht glauben, wonach ihn die Journalisten fragen: Vize-Fraktionschef Michael Fuchs (CDU) hat Neuwahlen ins Gespräch gebracht, melden die Nachrichten-Agenturen. Genau genommen hat Fuchs, ein Wirtschaftsfachmann seiner Fraktion, der gelegentlich das Herz auf der Zunge trägt, darüber spekuliert, dass die Union im Fall von Neuwahlen besser dastehe als die SPD. Er hat auch das Wort "Vertrauensfrage" gebraucht.

Obwohl Fuchs nicht wirklich Neuwahlen anregen wollte, ist die Aussage in der Welt und stellt einen neuen Höhepunkt in den Auseinandersetzungen der großen Koalition um die BND-Affäre dar. Dabei geht es um mögliche Späh-Angriffe der Amerikaner gegen Wirtschaftsunternehmen und europäische Regierungen. Union und SPD streiten derzeit darüber, ob das Parlament Einblick in Listen mit möglichen Späh-Zielen erhält.

Die SPD nutzt aus Sicht der Union das Thema seit Wochen, um politisch Kapital daraus zu schlagen. Unionsfraktionschef Kauder warf der SPD gestern vor, aus ihrer Parteizentrale kämen so schrille Töne, dass man überlegen müsse, ob sie aus der Regierung oder aus der Opposition stammten. "Wer andere schlechtmacht, wird selbst dadurch nicht besser", sagte Grosse-Brömer Richtung SPD. Zugleich beteuerte er, man wolle die Koalition "erfolgreich" zu Ende führen.

Doch die Stimmung erscheint ähnlich schlecht, wie seinerzeit bei Schwarz-Gelb, als man an dem Punkt angekommen war, an dem sich die Koalitionäre gegenseitig als "Gurkentruppe" und "Wildsau" titulierten.

Dabei mangelt es Union und SPD nicht an guten Vorsätzen, dass man mindestens noch ein Jahr gut miteinander auskommen möchte, bevor man in den Wahlkampfmodus schalten kann. Doch wie es sich mit guten Vorsätzen häufig verhält, kommt nach der Beteuerung für ein Miteinander die nächste öffentliche Verbalattacke gegen den Partner.

Gelingt es den Koalitionären nicht, aus der BND-Affäre den Zunder zu nehmen, sind die weiteren Großprojekte der Koalition gefährdet. Zumal die Verstrickungen der Geheimdienste nicht die einzige Sollbruchstelle für den Koalitionsfrieden darstellen. Auch der Mindestlohn von 8,50 Euro erweist sich als steter Stachel im Fleisch. Die Union will weiterhin die Dokumentationspflichten bei den Arbeitszeiten deutlich reduzieren. Die SPD wiederum lehnt eine Gesetzesänderung dafür strikt ab und hält den bürokratischen Aufwand für vertretbar. Die CSU geht nun sogar so weit, dass sie in Bayern Plakate kleben lässt, auf denen sie sich zwar zum Mindestlohn bekennt, aber gegen die gesetzlichen Ausführungen dazu Stimmung macht. Der Koalition ist es auch noch nicht gelungen, sich auf ein Konzept zur Bund-Länder-Finanzreform zu einigen. Das Vorhaben ist groß und kompliziert und muss viele widerstreitende Interessen auch der Länder unter einen Hut bringen, dass es nur in einer wirklich konstruktiven Atmosphäre wird gelingen können.

Für die Energiewende mit ihren Fragen zur Kohleabgabe und den Verläufen der Stromtrassen gilt das Gleiche. Es ist nicht nur der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der auf der Bremse steht. In Berlin haben sich das SPD-geführte Wirtschaftsministerium und die Verantwortlichen in der Unionsfraktion verhakt. Ein Treffen der Energiepolitiker mit der Ministeriumsspitze musste mehrfach wegen Divergenzen verschoben werden. Wenn es Union und SPD nicht gelingt, beim nächsten Koalitionsausschuss wieder Vorzeigbares zu liefern, ist diese Koalition am Ende, lange bevor die Wahlperiode aufhört.

(qua)
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