Politisch Inkorrekt Die Rückkehr der großen Grundsatz-Themen

Es sind immer Sternstunden des deutschen Parlaments, wenn über die grundsätzlichen Dinge des menschlichen Daseins diskutiert wird. Viele dieser Themen wähnte man längst erledigt, doch nun erstaunt der neue CDU-Generalsekretär Tauber mit mutigen Äußerungen.

Ganz plötzlich sind sie zurück auf der großen Bühne der Politik, die ethischen Themen, die im Spannungsfeld zwischen Euro-Krise, Energiewende und Nichtraucherschutz im modernen Deutschland so gar keine Rolle mehr zu spielen schienen.

Dass Papst Franziskus vor wenigen Tagen Abtreibung noch als "Teil der Wegwerfkultur" bezeichnete, konnte nur Menschen überraschen, die angenommen hatten, dieser Papst sei ja gar nicht katholisch. Aber dass der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber in seinem ersten großen Interview erklärte, mehr als 100 000 Abtreibungen pro Jahr in Deutschland könnten "uns nicht kaltlassen", und sich zugleich für ein Verbot jeglicher Art von Sterbehilfe aussprach, sorgte doch für Aufsehen und Unruhe.

Dies umso mehr, als gestern eine Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK bekannt wurde, nach der etwa 70 Prozent der Deutschen im Fall einer schweren Erkrankung Sterbehilfe, zum Beispiel durch einen Arzt, befürworten.

Die ethischen Themen — Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik und Klonen bis hin zu Tierversuchen — schienen verschwunden. Kaum ein Politiker verspürte den Mut, solch existenzielle Fragen erneut zu einem Thema zu machen. Denn egal, welchen Standpunkt einer vertritt, er bekommt immer scharfen Gegenwind.

Als Christ lehne ich persönlich Sterbehilfe ab. Aber als Christ bin ich auch zur Barmherzigkeit verpflichtet. Und wenn ich furchtbare Schicksale höre, von Menschen, deren Körper tot ist, aber deren Kopf lebt, und die einfach nur sterben wollen, lässt mich das natürlich nicht kalt.

Ebenso wie mancher Zeitgenosse, der liberale Auffassungen zum Schwangerschaftsabbruch hat, nachdenklich wird, wenn er von den legalen Spätabtreibungen im Fall schwerer Behinderungen eines Kindes erfährt. Es handelt sich um prinzipiell lebensfähige Kinder im siebten Schwangerschaftsmonat, nicht die gern zitierten "Zellhaufen".

Nein, es gibt zu diesen Themen keine einfachen Lösungen. Religiöse und anderweitige ethische Normierungen können als Kompass dienen, taugen aber für praktische Politik nur selten. Insofern ist es gut und richtig, dass diese Diskussionen nie endgültig entschieden, sondern immer wieder überprüft und diskutiert werden.

Wenn es um Leben und Schöpfung geht, sollten sich unsere Politiker nicht wegducken oder hinter einer Fraktionsdisziplin verstecken dürfen. Ein Staat und eine Gesellschaft müssen auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Werte definieren, was gutes und schlechtes Handeln ist. Das ist wichtiger als all der andere Kram, mit dem sich unsere Parlamente Tag für Tag beschäftigen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

"Texte gegen den Strom" — Lesung und Diskussion mit Klaus Kelle am Donnerstag, 30. Januar, um 18 Uhr im Konferenzzentrum der Rheinischen Post, Zülpicher Straße 10, Düsseldorf-Heerdt.

(RP)
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