"Die Queen ist in Irland nicht willkommen"

Es soll ein historisches Ereignis werden: Heute trifft Queen Elizabeth II. zu einer viertägigen Reise in Irland ein. Doch vor dem ersten Besuch eines britischen Staatsoberhauptes seit 100 Jahren ist in dem Land eine heftige Debatte ausgebrochen: Aus Sicht vieler Iren haben sich die Briten nicht ausreichend für Gräueltaten der Vergangenheit entschuldigt.

Dublin/London Es geschah 1956 bei einem Empfang im Buckingham-Palast. Ob es stimme, dass das Gras in Irland grüner sei als in ihrem Garten, wollte die damals 30-jährige Elizabeth II. vom irischen Botschafter wissen. "Kommen Sie vorbei, Ma'am, und schauen Sie selbst", wollte der Diplomat antworten. Doch er habe sich nicht getraut, soll er später gesagt haben. So frisch waren damals die Wunden nach dem Bürgerkrieg und der traumatischen Abspaltung der kleinen Republik von der früheren Kolonialmacht, dass ein Besuch der Königin in Dublin undenkbar war.

Erst jetzt, ein halbes Jahrhundert später, wird die Queen endlich die irischen Wiesen mit eigenen Augen sehen. Heute startet der viertägige Staatsbesuch der Monarchin, dem die Medien vorab das Etikett "historisch" verpasst haben. Vor 100 Jahren hatte König George V. als letztes britisches Staatsoberhaupt die "grüne Insel" betreten. Damals war Irland noch kein unabhängiger Staat. Schwer zu glauben: Seit ihrer Krönung 1953 hat die Queen mehr als 100 Staaten in der ganzen Welt bereist, doch ausgerechnet das Land mit den engsten Beziehungen zu Großbritannien war für sie immer unzugänglich gewesen.

Der überfällige und symbolträchtige Besuch auf Einladung der Präsidentin Mary McAleese wird nach Einschätzung der "Irish Times" ein neues Kapitel in den Beziehungen beider Länder eröffnen. Die Queen wird unter anderem heute die irischen Freiheitskämpfer mit einem Kranz ehren und morgen mit einer versöhnenden Geste die Verantwortung für ein Massaker übernehmen, das die Iren den ersten "Bloody Sunday" nennen: Im Dubliner Stadion Croke Park erschossen britische Militärs und Polizisten 1920 bei einer Sportveranstaltung zwölf Zuschauer. Zwei weitere Opfer starben bei der darauffolgenden Panik.

"Wenn die Konflikte gelöst sind, laden wir sie gerne zu einer Tasse Tee ein, aber heute ist die Queen in Irland nicht willkommen", zitiert die "Irish Times" einen Pensionär. Der Humorist Eric Lalor scherzt: "Was sind schon 800 Jahre Unterdrückung unter Freunden?"

Die "Kolonisierung" des katholischen Landes begann im 16. Jahrhundert in der nördlichen Provinz Ulster unter König Henry VIII., wobei die irischen Grundbesitzer ihre Ländereien an englische Protestanten abtreten mussten. Aufstände gegen die Besatzer wurden gnadenlos niedergeschlagen. Im englischen Bürgerkrieg massakrierten die Truppen von Oliver Cromwell 1649 in Drogheda und anderen irischen Städten Tausende Zivilisten. Spätere englische Gesetze verboten den Verkauf von Boden an die Katholiken, die weder wählen noch öffentliche Ämter besetzen durften.

Nach der Gründung des Vereinigten Königreichs 1801 entwickelten sich beide Teile der Union auseinander: Das industrialisierte England wurde wohlhabend, während das landwirtschaftlich geprägte Irland immer ärmer wurde. 1845 vernichtete ein Pilz die Kartoffelernte in Irland, und der "Große Hunger" brach über die Insel ein, der ihre Bevölkerung um ein Viertel dezimierte. Mangels ausreichender Hilfe aus London verhungerten über eine Million Menschen. Obwohl Victoria 2000 Pfund aus dem eigenen Vermögen für die Opfer spendete, galt sie fortan in Irland als die "Hungerkönigin".

Spätere Versuche der liberalen Regierungen in London, den Iren begrenzte politische Autonomie zu schenken, waren wegen des Widerstands in England und der starken irischen Nationalisten wenig wirksam. Nach der Teilung in den Süden und Norden und dem blutigen Bürgerkrieg trennte sich Irland 1937 vom Rest des Königreichs. Als Republik verließ es schließlich 1949 das Commonwealth. Die Beziehungen der Nachbarländer normalisierten sich erst in den 90er Jahren mit dem Ende des Terrorkrieges im Norden und der Unterzeichnung des Karfreitags-Abkommens 1998.

Zwar ist der Friedensprozess seitdem weit fortgeschritten, doch die Geister der dunklen Vergangenheit sind nicht verschwunden: Sechs Wochen vor der Reise der Königin ermordeten Separatisten im nordirischen Omagh einen katholischen Polizisten. Mitte April entschärfte die Polizei in Newry eine Autobombe mit 250 Kilogramm Sprengstoff. Im April erklärten schließlich Vertreter der republikanischen Splittergruppen die Queen zum "legitimen Anschlagsziel", weil die Königin für die britischen Kriegsverbrechen in Irland verantwortlich sei.

Die Windsors haben schon einmal ein Familienmitglied bei einem Bombenattentat verloren: 1979 ermordete die Terrororganisation Provisional IRA Lord Louis Mountbatten – den Onkel von Prinz Philip. Die Regierung in Dublin nimmt die neuen Drohungen entsprechend ernst. So wurden für den Besuch 10 000 Polizisten und Militärs mobilisiert. Die hoch verschuldeten Iren lassen sich die Sicherheit der Queen einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Das Geld sei jedoch gut angelegt, versichert der neue Premier Enda Kenny. Die Reise von Elizabeth II. würde "beide Nationen vom dauerhaften Misstrauen heilen".

(RP)
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