Düsseldorf Die neue deutsch-russische Eiszeit

Düsseldorf · Das Verhältnis beider Länder befindet sich schon länger in einer Schieflage. Viele Unternehmen in NRW betrachten dies mit wachsender Sorge.

Der letzte Eintrag auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes spricht Bände. Im laufend aktualisierten Beitrag über die deutsch-russischen Beziehungen ist dort an oberster Stelle zu lesen: "Aktuell überschattet die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland die deutsch-russischen Beziehungen. Die endgültigen Auswirkungen sind noch nicht absehbar." Ende. Stand: März 2014. Nun ist der Internet-Auftritt des Auswärtigen Amtes beileibe kein Weißbuch der Diplomatie, aber der Eintrag zeigt, wie frostig die deutsch-russischen Beziehungen geworden sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte gestern Russland dazu auf, mehr für die Freilassung der in der Ost-Ukraine festgesetzten deutschen Militärbeobachter durch prorussische Aktivisten zu tun. Merkel bekräftigte zugleich, der Westen sei zu schärferen Sanktionen gegenüber Russland bereit. "Das deutsch-russische Verhältnis ist so schlecht wie seit 25 Jahren nicht", sagt Politologe Volker Weichsel von der Fachzeitschrift "Osteuropa".

Schon länger ist das eigentümliche Verhältnis von einer Schieflage gekennzeichnet. Einerseits sind Gesellschaft und Wirtschaft beider Länder intensiv vernetzt und aufeinander angewiesen, andererseits befeuern Debatten über Demokratiedefizite, Berichte über Verfolgung und Inhaftierung von Oppositionellen und rigidere staatliche Kontrolle in Russland die Ressentiments. Ewald Böhlke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik warnt vor einer "echten Belastung der Beziehungen". Man müsse sich "wieder der Sacharbeit zuwenden".

Die ist derzeit jedoch so weit entfernt wie Wladiwostok vom Niederrhein. Im Kreml, bemerkt Osteuropa-Experte Weichsel, seien radikale Strömungen mit antiwestlichem Gedankengut in den inneren Machtzirkel vorgedrungen und hätten liberale Kräfte verdrängt. "Putins Russland betreibt heute eine destruktive Politik. Die von Deutschland angestrebte Modernisierungspartnerschaft ist gescheitert", glaubt Weichsel. Und Ewald Böhlke bemerkte angesichts der jüngsten Entwicklungen: "Russland sucht eine harte Distanz zu Europa und zur westlichen Welt."

Die Folge ist eine seltsame Ambivalenz zwischen Drohungen Merkels einerseits und deutlich vernehmbarem Verständnis für Putin in der deutschen Öffentlichkeit andererseits mit Altkanzler Schröder als Galionsfigur: Nirgendwo im Westen ist die Diskrepanz so groß wie in der Bundesrepublik.

Auch die Unternehmen in NRW betrachten die Spannungen mit steigender Sorge. Die Folgen der Krise machen sich bei knapp 40 Prozent der im Russland-Geschäft präsenten Betriebe mit rückläufigen Umsätzen bemerkbar. Das geht aus einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer NRW hervor. 54 Prozent der Unternehmen erwarten in Zukunft weniger Exportumsätze. Weitergehende Wirtschaftssanktionen für Moskau könnten, so sagt die IHK, die Existenz der NRW-Unternehmen gefährden. Insgesamt sollen bis zu 60 000 Arbeitsplätze in NRW mit dem Russland-Geschäft verbunden sein.

(RP)
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