Athen Die Nachfahren des Odysseus fliehen aus Griechenland
Athen · Griechenland debattiert über höhere Steuern für die Reeder. Das könnte ein Bumerang werden - die Abwanderung hat schon begonnen.
Der griechische Fiskus fasst die Reeder mit Samthandschuhen an - sie zahlen fast keine Steuern. Jetzt wird über ein Ende der Privilegien für die Schiffseigner diskutiert. Doch schon die Debatte darüber treibt immer mehr Reeder in die Flucht: Sie verlagern ihre Firmensitze in andere Länder. Viele Steuerparadiese werben jetzt sogar gezielt um die Griechen. Erhöht der griechische Finanzminister tatsächlich die Steuern, würde er am Ende wohl weniger statt mehr einnehmen.
Die Seefahrt hat in Griechenland eine lange Tradition, die aus der Antike bis in die Moderne reicht. Männer wie Aristoteles Onassis, George Livanos und Stavros Niarchos waren schon zu Lebzeiten Legenden. Die Reeder gelten als Inbegriff des erfolgreichen Unternehmertums, und viele Griechen sind stolz auf sie. Aber sind die Reeder umgekehrt auch gute Patrioten?
Die griechische Regierung müsse die superreichen Tycoons endlich zur Kasse bitten und ihnen Steuern abknöpfen, bevor sie um neue Hilfskredite der europäischen Steuerzahler bettelt - so eine vor allem in deutschen TV-Talkshows häufig zu hörende Forderung. Das klingt gut. Nur: Die Realität ist komplizierter.
Die griechischen Reeder kontrollieren eine Flotte von 4909 Schiffen - 202 mehr als noch im Jahr zuvor. Damit ist Griechenland die weltgrößte Schifffahrtsnation vor Japan, China und Deutschland. Die Krise, unter der das Land leidet, hat den Reedern nicht viel anhaben können. Während die Wirtschaftsleistung Griechenlands seit 2009 um fast ein Viertel schrumpfte, wuchs die Gesamttonnage der griechischen Handelsflotte von 237 auf 326 Millionen Tonnen. Das entspricht fast einem Fünftel der globalen maritimen Transportkapazität. Fast 400 neue Schiffe haben die griechischen Reeder derzeit bei Werften in Auftrag.
Der griechische Finanzminister bekommt allerdings fast nichts von den offenbar gut sprudelnden Einnahmen der Reeder ab. Denn nicht die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne werden versteuert. Die Abgaben werden vielmehr nach der sogenannten Tonnage-Gewinnermittlung berechnet. Grundlage für die Ermittlung der Steuern ist die Größe eines Schiffes, nicht der tatsächlich damit erzielte Gewinn. Für die Reeder ist das günstig. So zahlt etwa der Besitzer eines Frachtschiffs mittlerer Größe in Griechenland rund 45.000 Euro Tonnage-Steuer. In den USA, wo die tatsächlichen Gewinne besteuert werden, könnten nach Schätzungen aus Branchenkreisen für dasselbe Schiff etwa 3,5 Millionen Dollar fällig werden.
Die Tonnage-Steuer wurde in Griechenland in den 50er Jahren eingeführt. Man wollte die Reeder entlasten, um den Wiederaufbau der im Krieg weitgehend zerstörten Handelsflotte zu fördern. 1967 wurde diese Regelung unter der damaligen Obristendiktatur sogar in der Verfassung festgeschrieben - und 1975 nach dem Sturz der Junta in das neue griechische Grundgesetz übernommen. Weil Verfassungsänderungen in Griechenland kompliziert sind und mehrere Jahre in Anspruch nehmen, ist an eine rasche Reform nicht zu denken.
Was allerdings in den Stammtischrunden und Talkshows meist verschwiegen wird: 14 EU-Länder haben ebenfalls eine Tonnage-Steuer, darunter Deutschland, das sie 1998 einführte - "zur Stärkung des Schifffahrtstandortes", wie die damalige Bundesregierung erklärte. Griechische Reeder zahlen also in der Regel nicht weniger Steuern als ihre Kollegen in Hamburg, Rotterdam, Barcelona, Antwerpen, Genua oder Helsinki.
In den Verhandlungen über das neue Rettungspaket, das im vergangenen Sommer geschnürt wurde, musste Premier Alexis Tsipras den Geldgebern versprechen, die Reeder stärker zu besteuern. Bisher hat er das nicht umgesetzt und wird es wohl auch nicht tun - weil die Reeder dann abwandern würden. Dann würden nicht nur die Steuereinnahmen zurückgehen, sondern auch viele Arbeitsplätze der Schifffahrtsbranche ins Ausland verlagert. Nach Angaben der griechischen Zentralbank brachte die Handelsschifffahrt im vergangenen Jahr rund 15 Milliarden Dollar ins Land und trug etwa sieben Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes bei.
Unter dem wachsenden Druck hat sich der Reederverband im vergangenen Jahr bereiterklärt, die Tonnage-Steuer freiwillig zu verdoppeln. Mehr wollen die Reeder allerdings nicht berappen. Auf die Debatte über weitere Steuererhöhungen reagieren sie allergisch. Der Exodus hat bereits begonnen: Mindestens 42 Reedereien sind seit Beginn vergangenen Jahres aus Piräus und Athen nach Zypern umgezogen. Der Inselstaat lockt mit niedrigeren Steuern. London ist ebenfalls als Firmensitz zunehmend gefragt. Manche Länder bemühen sich aktiv darum, griechische Reeder anzulocken. Bei einer Veranstaltung in der kanadischen Botschaft in Athen warb die kanadische Stadt Vancouver im vergangenen Sommer mit völliger Steuerfreiheit für griechische Schiffseigner, wenn sie ihre Aktivitäten in den Pazifikhafen verlagern. Auch Dubai stellte bei einer Veranstaltung in Athen seine Vorteile als Heimathafen heraus. Die Forderung der EU-Geldgeber, Griechenland müsse seine Reeder zur Kasse bitten, könnte sich also als Bumerang erweisen.