Kolumne: Berliner Republik Die Mitte ist aus der Mode gekommen

Berlin · Zu den Binsenweisheiten der Politik gehört, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Doch diese Gewissheit gerät gerade ins Wanken.

Die Mitte ist aus der Mode gekommen
Foto: Quadbeck

Bundestagswahlen waren bisher stets ein Kampf um die politische Mitte. Machen die demokratisch gesinnten Arbeitnehmer ihr Kreuz eher rechts oder eher links? Je breiter das Angebot einer Partei für diese Bevölkerungsgruppe war, desto höher ihre Chance, die Wahl zu gewinnen. Das funktionierte 1998, als Gerhard Schröder, die sogenannte "Neue Mitte" für sich gewann — das aufgeklärte Bürgertum, das der Kohl-Republik überdrüssig war.

Auch Merkels Erfolge in den vergangenen zehn Jahren gründen auf diesem Prinzip. Doch inzwischen ist die Mitte aus der Mode gekommen. SPD-Chef Sigmar Gabriel rückt seine 20-Prozent-Partei gerade weiter nach links. Ob er dabei bedenkt, dass die Geringverdiener, die Arbeitslosen und jene, die sich abgehängt fühlen von der Gesellschaft eher Linke oder AfD wählen? Mit seinem Mitte-Kurs erhielt Schröder 1998 über 40 Prozent, im Hagel der Kritik über seine Hartz-Reformen immer noch 34 Prozent. Er war sich aber treu geblieben, für die Mehrheit der Wähler Politik zu machen.

Die Grünen wiederum verstehen es nicht, den Platz in der Mitte zu besetzen, den die SPD lässt. Das Beispiel Baden-Württemberg wird bundesweit nicht Schule machen. Im Gegenteil: Auf Bundesebene bereiten die Grünen abermals einen Wahlkampf vor, der Steuererhöhung beinhalten wird. Die arbeitende Mitte der Gesellschaft, die sich zu Recht als Leistungsträger versteht, törnt solche Aussichten ab.

Nun könnte sich die Union ja in der politischen Mitte mächtig breit machen. Für Merkel wäre das theoretisch eine ihrer leichtesten Übungen. Doch an den Schwesterparteien zerrt mit der AfD die Fliehkraft von rechts. Je mehr die Union auch den Platz Mitte links füllt, desto mehr Stimmen verliert sie an die neue politische Kraft rechts von ihr. Aktuell verfügt die große Koalition im Parlament über knapp 80 Prozent der Stimmen.

Dieses Kräfteverhältnis spiegelt unsere alte Konsens-Gesellschaft wider, in der die große Mehrheit sich den gemäßigten politischen Kräften zuwandte. Doch diese Zeiten sind vorbei. Aktuell kämen die beiden Volksparteien gemeinsam noch auf gut 50 Prozent. Der Rest der Gesellschaft setzt sich mit seinem Votum klar links, klar rechts, klar wirtschaftsliberal ab.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(qua)
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