Analyse Die mageren Jahre der rheinischen Kirche

Hilden · Sporthalle statt Tagungshotel, "Hilden statt Hilton": Die Evangelische Kirche im Rheinland beschließt einen schmerzhaften Sparkurs. Doch der Zeitpunkt ist heikel, das Tempo rasant, und belastbare inhaltliche Vorgaben fehlen.

Analyse: Die mageren Jahre der rheinischen Kirche
Foto: Christoph Goettert

Eigentlich ist es erstaunlich, dass auf dieser außerordentlichen Synode der rheinischen Landeskirche niemand die Geschichte vom Traum des Pharao bemüht hat. Das Buch Genesis erzählt davon, wie der Herrscher Ägyptens von sieben mageren Kühen träumt, die sieben fette Kühe auffressen, wie der Jude Joseph als einziger den Traum richtig versteht und das Reich vor einer verheerenden Hungersnot rettet, indem er den Pharao dazu bringt, Vorräte für sieben schlechte Jahre anzulegen.

Es ist eine der bekanntesten Geschichten des Alten Testaments, und sie springt geradezu ins Auge, wenn es um die Lage der Evangelischen Kirche im Rheinland geht: Auch hier stehen magere Jahre bevor, und es braucht Vorsorge, um Schlimmeres zu verhüten. Nur dass sich diese Vorsorge heute nicht mehr in Scheffeln Korn, sondern in Euro und Cent ausdrückt.

Konkret: Die rheinische Kirche produziert seit Jahren Haushalte mit strukturellen Defiziten, hat aber bald keine Rücklagen mehr, um diese Defizite auszugleichen; verschärfend kommt hinzu, dass die Kirchensteuer-Einnahmen derzeit zwar noch beinahe auf Rekordniveau liegen, in den kommenden zwei, drei Jahrzehnten aber massiv sinken dürften. Und dann ist da noch die Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, die nach Einschätzung von Experten längst nicht mit dem Vermögen ausgestattet ist, das für die anstehenden Herausforderungen – weniger Beitragszahler, aber mehr Versorgungsfälle – ausreichend wäre.

Dieser Mix alarmierender Ausgangswerte führte die 214 rheinischen Synodalen ins evangelische Schulzentrum Hilden. Sporthalle statt Tagungshotel – "Hilden statt Hilton", witzelte Präses Manfred Rekowski und fasste damit in denkbar knappste Form, was die von ihm geführte Kirchenleitung für nötig hält: mehr und schneller sparen. Statt 15 Prozent der jährlichen Ausgaben bis 2023 sollen 35 Prozent bis 2018 gegenüber 2012 gekürzt werden, 20 Millionen Euro jährlich statt acht Millionen. Vorschläge soll die Kirchenleitung machen.

Die Synode folgte Rekowski und Kirchenamtschef Johann Weusmann, den Vordenkern der drastischen Schrumpfung, zwar in der Feststellung, der Sparkurs müsse verschärft werden; das konkrete Ziel von 35 Prozent und die Zeitvorgabe 2018 machte sich die Synode aber nur mit knapper Mehrheit zu eigen – nach ein "paar Pirouetten", wie Rekowski später sagte. Die Zustimmung ist zwar eine grundlegende Rückendeckung für die Kirchenleitung, aber zugleich die Bekräftigung des verbreiteten Unbehagens, Entscheidungen könnten übers Knie gebrochen werden. Vor Ort entstehe oft der "Eindruck von Hektik und Kopflosigkeit", kritisierte ein Synodaler.

An der "inhaltlichen Grundausrichtung" der rheinischen Kirche werde sich nichts ändern, versprach Rekowski, wohl aber an Arbeitsformen und Strukturen: "Wir werden vermutlich in Zukunft weit weniger als bisher kirchliche Präsenz an der Existenz von Institutionen festmachen." Ein eigenes Gemeindehaus zum Beispiel sei für wirksame kirchliche Arbeit nicht unbedingt erforderlich. Die Kirche müsse lernen, "diasporafähig zu werden". Dafür dürften nicht "Bedenken summiert werden": "Wer Vorschlag A nicht will, muss einen Vorschlag B machen. Es ist völlig klar, dass wir losmarschieren müssen." Selbst betriebsbedingte Kündigungen im Landeskirchenamt schloss Rekowski nicht aus, stellte aber zugleich klar: "Es gibt keine geheime Streichliste der Kirchenleitung." "Beratungen ohne Tabus" begännen jetzt.

Vom ausgeglichenen Haushalt sei man auch nach der ersten, für 2014 avisierten Sparrunde "noch ein gutes Stück entfernt", warnte Finanzchef Bernd Baucks. Erst die 35 Prozent brächten die Kirche "langfristig in stabileres Fahrwasser". Denn für kirchliche Finanzplaner gelte anders als sonst für Christenmenschen: "Hoffnung ist kein verantwortbarer Teil der Planung."

Gefährlich und schwer beherrschbar ist die Lage derzeit aus zwei Gründen: Einerseits sind alle Werte, auf denen die Pläne der Kirchenleitung beruhen, nur Schätzungen – die rheinische Kirche beschleunigt das Spartempo nämlich mitten in der Umstellung auf kaufmännische Buchführung. Deshalb liegt derzeit weder eine Vermögensaufstellung noch ein geprüfter Jahresabschluss etwa für 2012 vor. Mit anderen Worten: Man weiß gar nicht genau, was man hat, und deshalb auch nicht, auf wie viel man am Ende verzichten muss. Mehrere Synodale bemängelten das in Hilden.

Das andere Problem wiegt schwerer. Der ganze Sparprozess ist eher technokratisch als theologisch organisiert, nach dem Motto: erst die Prozente, dann die Inhalte. Beides ist aber nicht zu trennen. Rekowski selbst sprach in Hilden von einer "Finanz- und Relevanzkrise" – die Kirche müsse sich klarwerden, wie sie arbeiten wolle, damit "erkennbar, sichtbar und verständlich wird, wofür wir als Kirche einstehen".

Bei der Frage, welche inhaltlichen Folgen das Sparen haben wird, bleibt sie allerdings zugeknöpft. Das Leitbild "Missionarisch Volkskirche sein" von 2010, das der Präses dazu zitierte, bleibt so im Allgemeinen, dass es kaum eine Hilfe ist. Erst auf der regulären Synodentagung im Januar, also in zwei Monaten, soll die erste 15-Prozent-Spartranche beschlossen werden. Erst dann ist klar, welche Bereiche der Arbeit konkret betroffen sind: Theologenausbildung? Notfallseelsorge? Schulen? Das zweite Paket von 20 Prozent wird sogar erst Anfang 2015 beraten und verabschiedet. Mindestens bis zur Synode im Januar gibt es also reichlich Raum für Spekulationen und für Unsicherheit.

Das ist schon an sich nicht gut. Es ist aber auch aus geistlicher Perspektive problematisch. Denn auch das steht in der Bibel, diesmal im Neuen Testament, im zweiten Korinther-Brief des Paulus (auch davon war übrigens in Hilden nicht die Rede): "Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig." Für Zahlen dürfte Ähnliches gelten.

(RP)
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