In der Keniakoalition brodelt es Sachsen streitet über vorgezogenen Kohleausstieg

Berlin · Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will einen früheren Kohleausstieg, anvisiert wird das Jahr 2030. In der sächsischen Kenia-Koalition kriselt es daher gewaltig. Die CDU will am Ausstiegsdatum 2038 festhalten, um neue Industrien anzusiedeln und neue Jobs zu schaffen.

Die Braunkohle entzweit die sächsische Keniakoalition.

Die Braunkohle entzweit die sächsische Keniakoalition.

Foto: dpa/Jan Woitas

Eigentlich schien alles klar zu sein: Der Kohlekompromiss aus dem Jahr 2020 regelt das Ende des klimaschädlichen Stroms. Zähe Verhandlungen waren der Vereinbarung vorausgegangen. Bis spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland stillgelegt werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aber stellt die Gewissheit in Frage. Ein auf 2030 vorgezogener Ausstieg müsse im Konsens vereinbart werden, hatte der Grünen-Politiker zuletzt erklärt.

Hintergrund ist, dass im Koalitionsvertrag der Ampelregierung festgehalten wurde, „idealerweise“ einen früheren Ausstieg als 2038 anzustreben. Kommt also nochmal Bewegung in die Debatte? Klar ist: In der sächsischen Keniakoalition aus CDU, SPD und Grünen brodelt es gewaltig. Die Grünen fordern mehr Tempo beim Ausstieg, die CDU will an 2038 festhalten. Die Kohle spielt in Sachsen unverändert eine große Rolle. In der Lausitz liegen noch 11,5 Milliarden Tonnen Braunkohle in der Erde, im Mitteldeutschen Revier in der Nähe von Leipzig weitere zehn Milliarden Tonnen. Tagebaue und Kraftwerke hängen an dem Rohstoff, und damit tausende (gut bezahlte) Arbeitsplätze.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will die Zeit bis 2038 nutzen, um neue Jobs zu schaffen. Als die Bundesnetzagentur jüngst vorrechnete, die Stromversorgung im Land sei auch bei einem früheren Ausstieg aus der Kohle gesichert, sprach Kretschmer umgehend von „illusorischen und unseriösen“ Annahmen. Sachsens Energieminister Wolfram Günther (Grüne) hält dagegen: Ein schnellerer Ausstieg aus der Kohle sei klimapolitisch nicht nur „wünschenswert“, sondern „absolut notwendig“.

Der Streit wird auf offener Bühne ausgetragen. Denn: Die Keniakoalition in Dresden ist nicht viel mehr als eine Zwangsehe. Eine andere Regierungsmehrheit war nach der Wahl 2019 wegen des starken Abschneidens der AfD nicht möglich. Im Herbst 2024 werden die Sachsen erneut zur Wahlurne gebeten, in Umfragen liegen die Rechtspopulisten derzeit vorne oder auf Augenhöhe mit der Union. Und der Kohleausstieg ist nicht nur ein Reiz-, sondern wird auch ein Wahlkampfthema.

Die Debatte hat daher längst auch das politische Berlin erreicht. „Der vorgezogene Kohleausstieg in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier ist klimapolitisch notwendig und ökonomisch sinnvoll“, sagt der sächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann. Die Kohleverstromung werde sich wegen des zügigen Ausbaus von Wind und Solar deutlich vor 2038 nicht mehr rentieren, sodass Betreiber die Kraftwerke frühzeitig abschalten würden, so Herrmann. „Die Erneuerbaren Energien sind ein wichtiger und stetig wachsender wirtschaftlicher Zweig, in dem in Sachsen schon heute deutlich mehr Menschen als in der Kohleindustrie arbeiten“, sagt der Energiepolitiker auf Anfrage unserer Redaktion.

Der Dresdner Bundestagsabgeordnete Lars Rohwer (CDU) will dahingegen unbedingt am Kohlekompromiss festhalten. „Die Lausitz bietet mit ihren Bergbaufolgelandschaften beste Möglichkeiten, Modellregion für eine klimaneutrale Energiewirtschaft zu werden. Die Kohleindustrie ist in der Lage, durch die eigene Weiterentwicklung von Kohle zu Erneuerbarer Energie und Wasserstoff auch neue Jobs anbieten zu können. Das bedarf verbindlicher Zusagen“, sagt Rohwer. „Junge Menschen, die sich jetzt für eine Ausbildung in ihrer Heimat entscheiden, dürfen nicht zum Spielball werden.“

Vermitteln will offenbar der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider. Ganz Deutschland profitiere von der Kohleverstromung in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier, so der SPD-Politiker. Ein früherer Ausstieg sei wünschenswert, aber nur dann, wenn es zu sozialverträglichen Lösungen und zu einem Konsens mit den Ländern komme. Und da liegt die Krux: Die Ost-Ministerpräsidenten sehen kaum Verhandlungsspielraum.

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