Madrid/Rom Die Irrfahrt der "Aquarius"

Madrid/Rom · Spanien nimmt 629 Flüchtlinge auf, die tagelang auf dem Mittelmeer festsaßen. Italien und Malta verweigerten die Aufnahme - und setzen das Thema so auf die Agenda des EU-Gipfels Ende Juni.

Nadelstreifenanzug, Krawatte, verschränkte Arme. Unter dem Foto der Satz: "Wir schließen die Häfen." Knallhart präsentierte sich Italiens neuer Innenminister Matteo Salvini am Sonntagabend auf Twitter. Und knallhart wirkt auch die italienische Flüchtlingspolitik der neuen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega. Die erste Kraftprobe hat Salvini dank des Eingreifens der neuen spanischen Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez gewonnen. Diese erklärte sich gestern bereit, das seit zwei Tagen in den Gewässern zwischen Malta und Sizilien blockierte Flüchtlingsschiff "Aquarius" "aus humanitären Gründen" im Hafen von Valencia aufzunehmen.

Auf der "Aquarius" befinden sich seit Samstagabend 629 Personen, darunter sieben Schwangere, elf jüngere Kinder und 123 unbegleitete Minderjährige. "Zum Glück gibt es keine Schwerverletzten, aber alle sind müde, erschöpft und dehydriert", sagte ein Arzt, der für die Organisation Ärzte ohne Grenzen auf dem Rettungsschiff arbeitet. Einige hätten außerdem Wasser in den Lungen und müssten behandelt werden. Zudem reiche der Proviant nur noch wenige Tage, teilte die Besatzung gestern mit. Viele Flüchtlinge schliefen an Deck.

Wie es aus Rom heißt, will Innenminister Salvini mit seiner harten Haltung vor allem ein Signal an die EU senden. Italien wolle sich die unsolidarische Haltung der Nachbarländer in der Flüchtlingsfrage nicht weiter gefallen lassen. "Ich will diesen Menschenhandel beenden", sagte Salvini auf einer Pressekonferenz gestern Nachmittag. Zuvor hatte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte die "radikale Änderung" der Dublin-Regelungen zur Einwanderung gefordert, wonach Flüchtlinge von dem Land aufgenommen werden müssen, welches sie zuerst betreten.

Am Morgen hatte der Innenminister zudem zu verstehen gegeben, auch dem vor Libyen kreuzenden deutschen Rettungsschiff "Sea Watch 3" und in Zukunft anderen Schiffen der im Mittelmeer tätigen Hilfsorganisationen die Landungserlaubnis zu verweigern. "Italien hat aufgehört, den Kopf zu senken und zu gehorchen, jetzt gibt es jemanden, der Nein sagt", schrieb Salvini, der zugleich Chef der rechtsnationalen Lega ist, gestern auf Twitter. Um Aufmerksamkeit zu erregen und Druck auszuüben, griff der italienische Innenminister zu einem Mittel, das frühere Regierungen in Rom auch schon erwogen, aber nie wahrmachten: Er drohte ausdrücklich mit der Schließung der italienischen Häfen für die Schiffe der Hilfsorganisationen.

Salvini hatte sich am Wochenende zunächst auf eine Kraftprobe mit Malta eingelassen und damit auch einen Bruch innerhalb der erst vor wenigen Tagen vereidigten neuen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega riskiert. In der oft als linkspopulistisch beschriebenen Fünf-Sterne-Bewegung gibt es zahlreiche Stimmen, die einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen fordern. Arbeitsminister und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und Transportminister Danilo Toninelli teilten in offiziellen Stellungnahmen aber den Kurs Salvinis.

Zwischen Italien und Malta gibt es seit vier Jahren eine inoffizielle Vereinbarung, dass der kleine Inselstaat keine Flüchtlinge aufnimmt. Die Rettungsoperationen vor Libyen werden von der Seenotrettungsstelle der italienischen Küstenwache in Rom koordiniert, nach Beendigung der Rettungsoperationen am Samstag steuerte die Aquarius in Richtung Sizilien. Malta verweigerte die Aufnahme der 629 Flüchtlinge. Laut Seerecht müssen Schiffbrüchige in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden, in diesem Fall wäre das La Valletta auf Malta gewesen. Just am Sonntag, als in vielen norditalienischen Gemeinden Kommunalwahlen stattfanden, verweigerte dann auch Salvini dem Schiff der Hilfsorganisation "SOS Mediterranée" die Landung. Zwei Tage lang verharrte die Aquarius in internationalen Gewässern zwischen Malta und Sizilien.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Vorgängerregierung mit Innenminister Marco Minniti ihre Flüchtlingspolitik verschärft und einen umstrittenen Verhaltenskodex für die im Mittelmeer tätigen Hilfsorganisationen aufgesetzt. Zudem schloss Italien umstrittene Abkommen mit Machthabern in Libyen. Im Gegenzug für Hilfe bei Infrastrukturprojekten sicherte Libyen eine schärfere Kontrolle der Flüchtlinge zu. Die Zahl der Flüchtlinge nahm auf diese Weise drastisch ab. In den vergangenen fünf Jahren hatten mehr als 600.000 Menschen über Libyen die italienischen Küsten erreicht.

(RP)
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