Kleiner Parteitag nach der Bundestagswahl Die Grünen stehen vor einer Zerreißprobe

Berlin · Ein kleiner Parteitag der Grünen berät am Samstag über die Aufnahme von Gesprächen mit der Union. In der Partei tobt ein Machtkampf.

Bei strahlend blauem Himmel kamen die Spitzen der Grünen aus Bund und Ländern zu einem Krisentreffen in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte zusammen. Es ging um eine erste Abrechnung und um die Frage, wie sich die Grünen nach ihrem schlechten Wahlergebnis neu aufstellen. Ein kleiner Parteitag heute soll einen Fahrplan festlegen, ob und in welcher Form die Grünen mit den Wahlsiegern von der Union reden. Zudem soll eine Strukturkommission ins Leben gerufen werden, die die Neuaufstellung der Partei organisiert.

Der Trend für ein schwarz-grünes Bündnis: Die Grünen sind zu Sondierungen mit der Union bereit, gehen aber davon aus, dass es nicht zu Koalitionsverhandlungen kommen wird. Begründet wird dies mit zu großen inhaltlichen Differenzen. Allerdings steckt die Partei in einer schweren Krise, die von personellen Machtkämpfen und einer inhaltlichen Sinnsuche geprägt ist.

Die Parteiführung möchte die Neuaufstellung so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Bereits beim Parteitag am 19. und 20. Oktober in Berlin soll die Parteiführung neu gewählt werden. Einzelne Spitzen-Grüne hatten gefordert, den Parteitag auf Mitte November zu verschieben.

Erste Sondierungsgespräche mit der Union sollte noch die alte Führung der Grünen – die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sowie die beiden Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir – führen. Für den aus Sicht der Grünen unwahrscheinlichen Fall von Koalitionsverhandlungen soll die Gruppe mit Spitzenpolitikern aus den Ländern erweitert werden, wie es aus Parteikreisen hieß.

Um die wenigen Spitzenposten, die in der Opposition zu vergeben sind, tobt ein Machtkampf, in den vor allem die Spitzenfrauen verwickelt sind. Nach Göring-Eckardt hat mit Kerstin Andreae eine zweite Frau vom Realo-Flügel ihren Hut für den Fraktionsvorsitz in den Ring geworfen. Während der linke Flügelmann Anton Hofreiter bislang ungefährdet als Trittins Nachfolger gilt, müssen die Frauen in die Kampfkandidatur. Bislang gilt Göring-Eckardt bei den Realos als Favoritin, wie aus Parteikreisen zu hören war. "Katrin Göring-Eckardt ist uns mit ihren Positionen näher als Kerstin Andreae", hieß es auch aus Kreisen des linken Fraktionsflügels. Ein Spitzengrüner aus den Ländern erklärte aber: "Von Katrin Göring-Eckardt brauchen wir eine klare Ansage, wo die Grünen hinsteuern sollen. Dann kann man die Frage beantworten, ob sie für den Fraktionsvorsitz die Richtige ist." Nach dem Rückzug von Volker Beck vom Posten des parlamentarischen Geschäftsführers hat die nordrhein-westfälische Grüne Britta Haßelmann gute Aussichten, seine Nachfolgerin zu werden.

In der Partei wird nun erneut die enge Bindung an die SPD in Frage gestellt. Es gilt als nicht ausgeschlossen, dass das Modell der "grünen Eigenständigkeit", das Parteichef Özdemir stets verfochten hat, wieder in Mode kommt. Demnach wären die Grünen für rot-grüne und rot-rot-grüne Koalitionen ebenso offen wie für schwarz-grüne. Entschieden und verhandelt würde nur auf der Grundlage von Inhalten.

Da den Grünen schwant, dass die enge Bindung an die SPD im Wahlkampf trotz fehlender Machtoption ein entscheidender Fehler war, ist Özdemir der Grüne aus der alten Führungsriege, der am wenigsten beschädigt ist. Seine Wiederwahl beim Parteitag gilt als sicher. Um den Frauenposten hat sich die frühere saarländische Umweltministerin Simone Peter beworben, die zum linken Parteiflügel zählt. Steffi Lemke hatte indes angekündigt, nicht mehr kandidieren zu wollen.

Derzeit wird bei den Grünen um jedes Pöstchen gerangelt. Noch-Fraktionschefin Renate Künast und Noch-Parteichefin Claudia Roth werden in eine Kampfabstimmung gehen. Beide wollen Vizepräsidentin des Bundestags werden – ein Amt, das in dieser Wahlperiode Göring-Eckardt innehatte und das die anderthalbfache Abgeordneten-Diät einbringt.

(RP)
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