Bonn Die geheimen US-Dossiers zum Terror der RAF

Bonn · Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat vertrauliche Dokumente ins Netz gestellt, die zeigen, wie die US-Botschaft den RAF-Terror einschätzte. Die USA verfolgten die damalige Entwicklung mit größter Sorge, vertrauten aber auf die Stärke der deutschen Demokratie.

Der Herbst 1977 gehört zu den einschneidenden Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte. Mit einer beispiellosen Terrorserie überzog damals die Rote Armee Fraktion (RAF) die Bundesrepublik und löste in der westdeutschen Gesellschaft eine tiefe Erschütterung aus. Es begann schon im April mit dem Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, ging über die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer im September und endete vorläufig mit der zeitgleichen Entführung und Befreiung der Lufthansa-Maschine "Landshut" sowie dem Selbstmord der inhaftierten Führungscrew der RAF im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim.

Wie amerikanische Stellen den Terror in Westdeutschland einschätzten, zeigen vertrauliche Dokumente der US-Botschaft, die die Enthüllungsplattform Wikileaks jetzt veröffentlichte. Dabei registrierte der wichtigste Verbündete Deutschlands durchaus, dass der Bundesrepublik im In- und Ausland eine feindselige Haltung entgegenschlug. In einem Dossier zum 23. September 1977 heißt es: "Manche Beobachter sehen eine signifikante Neonazi-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland und ziehen apokalyptische Schlüsse aus den aktuellen Erfahrungen Deutschlands mit dem Terrorismus. Sie deuten an, dass er ein Zeichen für eine kranke Gesellschaft sei und dass wir die Rückkehr zu einer paralysierten Weimarer Republik erleben."

In dem Dossier kommen vor allem die kritischen Artikel der linksliberalen Presse in Frankreich, Italien oder Großbritannien zu Wort, die den deutschen Behörden Nähe zur Nazi-Vergangenheit und autoritäres Handeln vorwerfen. Eine Einstellung, die sich die US-Botschaft ausdrücklich nicht zu eigen macht. Im Gegenteil, sie hält es für Sensationsmache. "Wir glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland grundlegend gesund ist und dass die deutsche Demokratie eine anhaltende Entwicklung ist", schreiben die Autoren in diesem Dossier, das noch zur Zeit der Schleyer-Entführung verfasst wurde. Man dürfe nicht vergessen, dass der Terror von den Linksextremisten ausgehe.

Gerade die Amerikaner fühlten sich durch die RAF auch selbst bedroht - die vielen Anschläge auf US-Militärbasen und Konsulate beweisen, dass diese Einschätzung richtig war. So berichtet ein Dokument vom 8. November 1977, dass die Leiter amerikanischer Unternehmen ihre Besuche in Deutschland wegen Sicherheitsbedenken abgesagt hätten. Auch innerhalb der Polizei habe ein Gefühl der Frustration und niedriger Moral geherrscht - bis zur gelungenen Befreiung der "Landshut"-Passagiere, wie aus dem gleichen Dokument hervorgeht.

Interessant ist, wie die Amerikaner die politische Situation beschrieben. "Die westdeutsche Reaktion ist ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft extrem empfindlich für politische Gewalt bleibt, aber es scheint nicht so, dass dies stark genug ist, um die politischen Parteien aus ihrem Rollenverhalten herauszuholen", heißt es in der Bewertung der Botschaft vom 15. April 1977 - unmittelbar nach dem brutalen Mord an Buback. Beschrieben wird, dass die Opposition in einer Bundestagssitzung strengere Terrorgesetze forderte und härtere Strafen für Unterstützer von Terroristen, die Bundesregierung dies aber ablehnte mit Verweis darauf, dass die bestehenden Gesetze ausreichten, um das Problem zu lösen.

Auch über die deutsche Psyche machten sich die Amerikaner ihre Gedanken. Im gleichen Dossier steht, dass der Mord an Buback und der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm ein "tiefer psychologischer Schock für die deutsche Öffentlichkeit" gewesen seien. Die jüngere deutsche Geschichte, vor allem die Erfahrungen aus der Nazi-Zeit, habe sich so in die deutsche Psyche eingebrannt, dass sie weiter eine Rolle spielte im deutschen Verhalten.

In der Botschaftsbewertung vom 8. November, also etliche Tage nach dem Höhepunkt des Terrors mit "Landshut"-Befreiung, RAF-Selbstmord und Schleyers Erschießung, spielt wieder die Politik eine wichtige Rolle. Denn es werden die Schwierigkeiten beschrieben, die der hessische CDU-Vorsitzende Alfred Dregger hatte, mit dem Terror-Thema bei der anstehenden Landtagswahl gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD) zu punkten. So sei es für ihn problematisch gewesen, dass ausgerechnet im konservativen Baden-Württemberg die inhaftierten Terroristen offenbar in ihrem Stammheimer Gefängnis an Waffen gekommen seien, mit denen sie sich umgebracht hätten.

Knapp drei Wochen zuvor fragten die Diplomaten der Bonner US-Botschaft äußerst besorgt, wie es möglich war, dass die Top-Terroristen Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin Waffen in ihre Zellen schmuggeln konnten. "Dies wirft Fragen auf über die Kontrolle der Kontaktsperre für die Terroristen und ihre Beziehungen zur Außenwelt. Wie erfuhren sie von den Nachrichten? Wie koordinierten sie ihre Aktionen? Wie wurden die Pistolen versteckt? Und wie streng hat das Personal die Gefangenen in der kritischen Phase bewacht?"

Lob dagegen gab es für den Krisenkanzler Helmut Schmidt (SPD), der die Geiselnahme der "Landshut" glücklich beenden konnte. Der US-Botschafter zeigte sich beeindruckt von der Persönlichkeit. Die Bundestagsrede am 20. Oktober, einen Tag nach Schleyers Ermordung, sei ein "klares Bekenntnis" gewesen, dem Schmidts "Sinn für Bescheidenheit und Menschlichkeit eine besondere Eloquenz" gegeben habe. "Die Rede unterstreicht, dass Schmidt - wenn er in Hochform ist - den Bundestag beherrscht."

(RP)
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