Die Fehler der Ärzte

Beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung wurden 2011 mehr als 12 000 Beschwerden wegen Ärztefehlern eingereicht. Jetzt zeigt sich: Ein Drittel der Klagen ist begründet.

Düsseldorf Eine Gallenblasen-operation ist eigentlich ein unkomplizierter Eingriff. Doch für einen 67-Jährigen endete dieser mit dem Tod: Denn Ärzte bemerkten nicht, dass der Mann während der Operation einen Keil verschluckt hatte. Dieser sollte vermeiden, dass der schlafende Patient in den Beatmungsschlauch beißt. Dieses Beispiel hat Astrid Zobel gestern angeführt, als der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) seine aktuelle Bilanz zu Ärztefehlern vorstellte. "Der Behandlungsfehler war in diesem Fall eindeutig die Ursache für den fatalen Schaden", sagt Zobel, Leitende Ärztin beim MDK Bayern. Doch nicht immer handelte es sich um solch folgenschwere Fehler.

Insgesamt gingen im vergangenen Jahr 12 686 Beschwerden von Patienten beim MDK ein. Bei einem guten Drittel, nämlich bei 4068 Fällen, bestätigte der Dienst, dass Behandlungsfehler vorliegen. Die meisten Beschwerden richteten sich gegen Krankenhäuser. Nur ein Drittel (4177 Fälle) wurde gegen niedergelassene Ärzte erhoben. In drei von vier bestätigten Fällen sahen die MDK-Gutachter es als gegeben an, dass der Behandlungsfehler für den gesundheitlichen Schaden verantwortlich ist.

Die meisten Fehler wurden bei der Therapie einer Krankheit gemacht (41,3 Prozent). Sowohl bei der Knie- als auch bei der Hüftgelenksarthrose sowie dem Unterarmbruch war in über der Hälfte aller bestätigten Behandlungsfehler der therapeutische Eingriff fehlerhaft. Anders sieht es bei dem Oberschenkelbruch aus: Dieser wurde in knapp 20 Prozent der Fälle falsch diagnostiziert. Insgesam haperte es bei der Diagnose in 23,1 Prozent der Fälle. Die Dokumentation war bei einem Fünftel fehlerhaft. Seltener gab es Probleme bei der Pflege (8,8 Prozent).

Je nach Fachrichtung variiert die Zahl der Beschwerden enorm: Die chirurgischen Fächer Orthopädie und Unfallchirurgie sowie die Allgemeinchirurgie werden am häufigsten mit Behandlungsfehlervorwürfen konfrontiert. Hier gab es insgesamt 5882 Beschwerden, von denen etwa 30 Prozent bestätigt worden sind. Besonders wenig Vorwürfe gab es in den Fachgebieten Augenheilkunde (399), Urologie (326) und Hals-Nasen-Ohren (308). "Viele Vorwürfe bedeuten aber nicht automatisch auch viele Behandlungsfehler", erklärt Zobel.

Im Verhältnis zur Zahl der Vorwürfe werden die meisten Behandlungsfehler aber in der Pflege, in der Zahnmedizin sowie in der Gynäkologie und Geburtshilfe bestätigt (siehe Infokasten). Rückschlüsse auf die Behandlungsqualität insgesamt sind nach Zobels Darstellung jedoch nicht möglich, da es sich um absolute Zahlen handelt, die in Relation zur Zahl der Behandlungen im jeweiligen Fach gesehen werden müssen. "Dennoch müssen wir in Zukunft unsere Analysen in den Fächern vertiefen, die eine besonders hohe Bestätigungsquote zeigen", sagt Zobel.

Tatsächlich ist es nicht möglich, von den Daten der MDK Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen bei bestimmten Erkrankungen zu ziehen. Zwar hält der Dienst fest, bei welchen Krankheiten die meisten Fehler entdeckt worden sind (siehe Grafik), doch fehlen die Daten über die gesamte Anzahl der Behandlungen in Deutschland.

Doch schon ein kleiner Vergleich macht deutlich, dass es so schlecht gar nicht um die medizinische Qualität steht: Denn im vergangenen Jahr hat es um die 18 Millionen Krankenhausbehandlungen gegeben. Setzt man diese Zahl in Relation zu den in Kliniken bestätigten Fehlern (etwa 2550 Fälle), so erkennt man, dass sie sich im Promillebereich bewegt.

"Patienten wenden sich an den Dienst, wenn sie mit dem Ergebnis einer Behandlung unzufrieden sind", erklärt eine Sprecherin des MDK. Fachärzte, die als Gutachter für den Dienst arbeiten, entscheiden darüber, ob ein Behandlungsfehler vorliegt oder nicht.

"Wichtig ist, dass die Patienten bei einem vermuteten Schadensfall nicht alleingelassen werden", sagt Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der deutschen Ärzteschaft. Auch dieser Gutachter-Stelle wurden im vergangenen Jahr mehr als 12 000 Beschwerden vorgelegt. Hier bestätigten sich allerdings nur 2287 Behandlungsfehler.

Um die Zahl der Fehler weiter zu senken, gibt es diverse Instrumente seitens der Ärzteschaft und der Bundesregierung. So soll im neuen Patientenrechtgesetz die Position der Patienten bei Behandlungsfehlern gestärkt werden, indem die Beweislast bei bestimmten Fällen umgekehrt wird. Nicht mehr der Patient, sondern der behandelnde Arzt muss dann beweisen, dass er nicht wusste, dass Schäden durch den Fehler auftreten können. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung setzt auf ein freiwilliges Meldesystem: "Ärzte können Beinah-Fehler melden, damit andere davon profitieren", erklärt ein Sprecher. Dies soll Fehlern vorbeugen, indem Kollegen von Kollegen lernen. Ob Unachtsamkeiten wie ein verschluckter Beißring auf diese Weise vermieden werden können, darüber lässt sich diskutieren.

(RP)
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