Analyse Die entzauberte von der Leyen

Berlin · Die CSU ist gegen das Konzept von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen für eine "Lebensleistungsrente", ihr Rentenpaket droht zu scheitern. Auch bei anderen Projekten agiert die einstige CDU-Hoffnungsträgerin eher glücklos.

Viele Arbeits- und Sozialminister vor ihr haben echte Rentenreformen hinbekommen. Ihr Vorgänger Franz Müntefering (SPD) hat sich mit der Einführung der "Rente mit 67" ein persönliches Denkmal gesetzt. Und der Name eines weiteren in der Ahnengalerie der Sozialminister prägte sogar nachhaltig die deutsche Sprache: Mit Walter Riester (ebenfalls SPD) kam die "Riester-Rente". Millionen Deutsche können es bis heute nicht lassen: Sie "riestern".

Eine vergleichbare Leistung zu vollbringen, hat sich die amtierende Sozialministerin für diese Legislaturperiode vorgenommen: Ursula von der Leyen (CDU) wollte nichts weniger, als eine neuartige sozialpolitische Waffe gegen den drohenden Anstieg der Altersarmut einführen. Sie erfand dafür den Terminus der "Zuschussrente"; später taufte sie ihn auf Wunsch ihrer Partei um in den schöner klingenden Begriff "Lebensleistungsrente". Von der Leyen war aufgefallen, dass Erwerbstätige mit geringen oder niedrigen mittleren Verdiensten im Alter Renten beziehen, die deutlich unter dem Niveau der sozialen Grundsicherung von derzeit durchschnittlich 707 Euro im Monat liegen. Ohne die Ministerin wäre dieses Gerechtigkeitsproblem kaum zum politischen Großthema avanciert, das bleibt ihr Verdienst — oder, wie manche in der Koalition heute fluchen, das Gegenteil davon.

Mittlerweile ist es Konsens bei CDU, CSU und FDP, dass Menschen, die ein Leben lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, im Alter Anspruch auf mehr Rente haben sollen als Menschen, die weniger oder gar nichts eingezahlt haben und daher auf die soziale Grundsicherung angewiesen sind. Doch über diesen Minimalkonsens kommt die Koalition bis heute nicht hinaus: Die CSU will den eingeschlagenen Weg der Ministerin bei der Lebensleistungsrente nicht mittragen. Zwar hatten sich die Partei- und Fraktionschefs im Koalitionsausschuss Anfang November grundsätzlich hinter den Plan der Lebensleistungsrente gestellt, doch bei deren konkreter Ausgestaltung hat von der Leyen nicht nur die CSU, sondern auch die FDP und Teile der eigenen Partei gegen sich. Das "Herzstück" ihres Rentenpakets, wie sie selbst es nennt, droht zu scheitern — wenn sich die Koalitionäre nicht in den kommenden Wochen doch noch auf ein gemeinsames Konzept einigen.

Die Ministerin will mit der Lebensleistungsrente eine völlig neue Rentenform schaffen, für deren Abwicklung die Deutsche Rentenversicherung zuständig wäre. Die Rentenversicherung müsste überprüfen, wer wirklich Anspruch auf die neue Leistung hätte. Sie müsste nicht nur die Dauer der Beitragszahlungen kontrollieren, was ihr leichtfiele, sondern auch prüfen, wie hoch die Partnereinkommen der potenziell Anspruchsberechtigten waren, denn die sollen nach dem Willen der Koalition mitberücksichtigt werden.

Aus Sicht der CSU wäre die Rentenversicherung mit einer solchen Aufgabe überfordert, sie verfügt nicht über die entsprechende Bürokratie. Doch auch aus ordnungspolitischen Gründen lehnen die Christsozialen den Ansatz einer neuen Rentenform ab. "Wir wollen nicht, dass die Rentenversicherung den Geruch eines Sozialamtes bekommt", sagte Max Straubinger, der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag. "Wir tragen keine neue Leistung mit, die Versicherungs- und Fürsorgeleistungssysteme miteinander vermischt. Bedarfsprüfung und gesetzliche Rente vertragen sich nicht", hieß es denn auch im Beschluss der CSU auf ihrer Klausurtagung in Kreuth diese Woche.

Die CDU-Schwesterpartei will das Gerechtigkeitsproblem lieber über die soziale Grundsicherung lösen: Aus diesem Topf sollen Menschen, die eine zu geringe Rente beziehen, aber jahrzehntelang eingezahlt haben, künftig einen Zuschlag erhalten. Auch solle die private Altersvorsorge nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden.

Die CSU weiß die FDP hier an ihrer Seite. "In der Sache kann ich die Kritik der CSU am Konzept von der Leyens gut nachvollziehen", sagte FDP-Sozialpolitiker Heinrich Kolb. Auch die FDP wolle keine neue Rentenform, sondern mehr Freibeträge in der Grundsicherung.

Auf Widerstand stößt von der Leyen auch in den eigenen Reihen. Vor allem die Vertreterinnen der Frauen-Union wie die Merkel-Vertraute Staatsministerin Maria Böhmer halten es mittelfristig für wichtiger, die Kindererziehungszeiten von Müttern bei der Rente stärker zu berücksichtigen, als mit der Lebensleistungsrente eine neue Rentenform einzuführen. Viele in der Koalition, allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), stoßen sich zudem an den enormen Kostenrisiken der Altersarmutsbekämpfung. Während von der Leyen ihre Lebensleistungsrente schon auf etwa 850 Euro monatlich taxierte, sorgte Schäuble dafür, dass nun der Zuschuss um allenfalls zehn bis 15 Euro über dem Grundsicherungsniveau liegen soll. Der Koalitionsausschuss hatte im November eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des CDU-Sozialpolitikers Karl Schiewerling beauftragt, eine Konsenslösung zu finden. Die Gruppe konnte sich jedoch nicht einigen und vertagte sich bis nach der Niedersachsen-Wahl am 20. Januar. Findet sie nicht wie verabredet bis Ende Januar einen Konsens, läuft der Koalition die Zeit davon. "Wir brauchen noch im Januar Klarheit über das Rentenpaket, andernfalls bekommen wir es nicht mehr rechtzeitig vor der Bundestagswahl durch den Bundestag", warnte Kolb.

CSU und FDP hätten auch nichts dagegen, wenn die Koalition ganz auf das Thema Altersarmutsbekämpfung verzichten würde — und stattdessen nur jene Teile des Rentenpakets beschlösse, über die längst Einigkeit herrscht. So möchten alle Parteien die so genannte Kombi-Rente einführen, nach der es künftig möglich sein soll, als Rentner deutlich mehr hinzuzuverdienen als bisher. Verbessern will die Koalition auch die Erwerbsminderungsrente. Doch von der Leyen macht diese Konsenspunkte zur Geisel, um ihre Lebensleistungsrente doch noch durchzusetzen. Forderungen, die Aufstockung der Altersrenten von Geringverdienern aus dem Paket auszugliedern und die anderen Bestandteile des Pakets unabhängig davon zu beschließen, lehnte von der Leyen gestern erneut ab.

Scheitert sie am Widerstand in der Koalition gegen die Lebensleistungsrente, stünde sie als Sozialministerin am Ende dieser Wahlperiode weitgehend mit leeren Händen da. Denn auch ihre anderen früheren Lieblingsprojekte wie etwa das Bildungspaket für Hartz-IV-Kinder oder die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote wurden nicht zu echten Erfolgsstories. Ein Denkmal setzt sich Sozialministerin von der Leyen wohl eher nicht.

(mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort