Berlin Die einsame Europäerin

Berlin · Die Koalition der Willigen ist zerbröselt. Nun geht es vor allem darum, die EU-Außengrenzen zu schützen.

Berlin: Die einsame Europäerin
Foto: Radowski

Gleich werden die Begriffe "historische Bewährungsprobe" und "Schicksalsjahr" fallen. Noch aber steht Kanzlerin Merkel im Bundestag am Rednerpult und ihr Tonfall klingt, als spreche sie über ein Thema, das gerade keine Sorgen auslöst, den robusten deutschen Arbeitsmarkt zum Beispiel. Sie zeigt sich absolut zuversichtlich.

Dabei stehen ihr heute und morgen in Brüssel beim Europäischen Rat harte Verhandlungen bevor. Deren Ergebnis wird für sie, für ihre Kanzlerschaft, für Deutschland und für die Europäische Union von entscheidender Bedeutung sein. Seit Wochen ist die so oft als mächtigste Frau der Welt beschriebene Kanzlerin in Europa isoliert. Immer weniger Verbündete folgen ihrem Flüchtlingskurs. Die sogenannte Koalition der Willigen aus Ländern, die geordnet Flüchtlinge über Kontingente aufnehmen wollten, ist zerbröselt. Streng genommen stehen nur noch Luxemburg und der luxemburgische EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an ihrer Seite. Er rief Merkel via "Bild"-Zeitung dazu auf, standhaft zu bleiben: "Die Geschichte wird Angela Merkel recht geben."

Die anderen Staaten, die eine humanitäre Flüchtlingspolitik verfolgen, hantieren längst mit einem Plan B: Die Österreicher machen den Brenner dicht, die Schweden haben so viele Flüchtlinge aufgenommen, dass Chaos im Land auszubrechen droht und sie keinen mehr reinlassen. Und die Niederländer ducken sich, wie so viele andere europäische Staaten auch, vor den nationalistischen Bewegungen in ihrem Land.

Frankreich, das mit den Folgen von Terror und misslungener Integration zu kämpfen hat, sieht sich nicht in der Lage, Flüchtlinge aufzunehmen. Das hatte Premierminister Manuel Valls jüngst in einer Form deutlich gemacht, die für die Kanzlerin wie ein Schlag ins Gesicht gewirkt haben muss. Auch Großbritannien und viele weitere Staaten sind nicht einmal bereit, überschaubare Zahlen von Flüchtlingen aufzunehmen. Etwa die Hälfte der EU-Länder, vorneweg Polen und Ungarn, betrachten die Flüchtlingspolitik Merkels ohnehin als moralischen Imperialismus. Sie halten Stacheldrahtzäune, Schlagstöcke und Tränengas für das geeignete Mittel, diese Krise zu lösen.

Der Zerfall Europas in Interessengrüppchen spiegelt sich auch in der Regie des EU-Gipfels heute und morgen. Während die Visegrad-Gruppe aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien schon vor dem Spitzentreffen über Pläne zur bulgarisch-mazedonischen Grenzschließung berieten, hatte Österreich heute vor Gipfelbeginn die einstige Koalition der Willigen, zu der auch die Niederlande, Schweden und Belgien gehörten, sowie Griechenland und die Türkei eingeladen. Bei dem Treffen, das wegen des Bombenanschlags in Ankara kurzfristig abgesagt wurde, sollte die europäisch-türkische Zusammenarbeit ausgelotet werden.

Die Deutschen sind zuversichtlich: "Wenn sich der Europäische Rat darauf verständigt, dass die gemeinsamen Außengrenzen gesichert werden müssen, können wir bis Ende Februar eine spürbare Verringerung des Flüchtlingszustroms erreichen", sagte der frühere Verteidigungsminister und Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) unserer Redaktion. "Die Nato-Einheiten im Mittelmeer haben dafür schon die Voraussetzungen geschaffen." Zudem habe die Türkei akzeptiert, dass deutsche Polizisten zusammen mit ihren türkischen Kollegen an den Stränden der Türkei zur Grenzsicherung beitragen.

Merkel hatte schon vor Wochen angekündigt, mit dem Europäischen Rat im Februar eine Zwischenbilanz ihrer Flüchtlingspolitik zu ziehen. Im Bundestag warb sie erneut für ihren Weg, Fluchtursachen zum Beispiel durch Schutzzonen zu bekämpfen, mit der Türkei zu kooperieren und eben die EU-Außengrenzen zu sichern. "Oder müssen wir aufgeben und stattdessen die griechisch-mazedonisch-bulgarische Grenze schließen?", fragte Merkel. Dies war aber eine rhetorische Frage. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie weiter an ihren Weg glaubt.

(qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort