Juba Die angekündigte Katastrophe

Juba · Internationale Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Der jüngste Staat der Erde, der Südsudan, versinkt im Chaos. Die Felder sind wegen der Kämpfe nicht mehr bestellt worden. Ab September droht eine Hungersnot riesigen Ausmaßes.

Das triste Wüstenbraun weicht sattem Grün - aus der Luft ist die Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan genau zu erkennen. Doch in dem fruchtbaren und ölreichen Land, dessen Staatsgründung in der Hauptstadt Juba vor drei Jahren von Zehntausenden Menschen überschwänglich gefeiert wurde, wird im September eine Hungersnot ausbrechen, der Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Ostafrikaner zum Opfer fallen werden. Das besonders Makabre daran: Die Spenden-Galas könnten schon jetzt terminiert, die Bittbriefe gedruckt werden. Denn diese Katastrophe ist exakt vorhersehbar, weil durch die Kämpfe rivalisierender Gruppen die letzte Ernte nicht mehr eingebracht und anschließend nicht mehr ausgesät werden konnte. Die Folge: Es wird bald nichts mehr zu essen geben im Südsudan. Der kurze Traum von Freiheit ist zum Alptraum geworden.

Seit Monaten bekämpfen sich im Südsudan Anhänger von Präsident Salva Kiir und dessen Rivalen Riek Machar. Es gibt auch Streit um Wasser und Weideplätze für die großen Viehherden zwischen insgesamt 60 Stämmen, die als Nomaden umherziehen. Zu allem Überfluss ist im Mai eine Cholera-Epidemie ausgebrochen, der Impfstoff gegen die Durchfall-Krankheit geht zur Neige - das Leid wird immer größer.

Die Zahlen machen sprachlos: Weit mehr als 1,5 Millionen Menschen wurden seit dem Ausbruch der Gefechte Ende 2013 vertrieben, 400 000 sind in Nachbarländer geflohen. Vier bis fünf Millionen verzweifelte Menschen sind auf gespendete Nahrungsmittel angewiesen, und geschätzte 250 000 Kinder benötigen dringend Behandlungen gegen akute Mangel- und Unterernährung, berichtet der Südsudan-Experte Ekkehard Forberg von der christlichen Hilfsorganisation "World Vision Deutschland" im hessischen Friedrichsdorf. "Es ist Regenzeit, die Flüchtlingslager wie das in Malakal stehen komplett unter Wasser." "World Vision" betreut in Malakal 16 000 Menschen.

Die Vereinten Nationen haben die Entwicklung scheinbar präzise dokumentiert. Doch Forberg ist skeptisch: "Eine Herausforderung ist, dass verlässliche Zahlen fehlen. Die Verbindung zu den Regionen im Busch ist abgebrochen, in die meisten Dörfer kommen wir nicht mehr." Nur in den überfüllten Lagern lasse sich erkennen, was sich zusammenbraut: "Mehr und mehr Kleinkinder sterben schon jetzt an Unterernährung. Das ist kein gutes Zeichen."

Auch Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, warnt eindringlich: "Bis zu 50 000 Kinder unter fünf Jahren werden wahrscheinlich sterben, wenn die Behandlung nicht umgehend aufgestockt wird", befürchtet der Südsudan-Beauftragte von Unicef, Jonathan Veitch. Insgesamt sei die Ernährung von 3,7 Millionen Menschen ungesichert. Viele Südsudanesen äßen bereits jetzt Gräser und Knollen.

Die Schreckensberichte der Hilfsorganisationen gleichen sich: "Dies ist eine von Menschen verursachte Katastrophe", sagt Raphael Gorgeu, Landeskoordinator von "Ärzte ohne Grenzen" im Südsudan. "Wir erleben jetzt die schockierenden Konsequenzen der Massenvertreibung. Etliche Menschen sind seit sechs Monaten auf der Flucht. Sie trinken Sumpfwasser und essen Pflanzenwurzeln, um zu überleben."

Vor allem in den vom Konflikt besonders betroffenen Bundesstaaten Unity, Jonglei und Upper Nile ist die Zahl der hungernden Kinder dramatisch gestiegen. In der Stadt Leer in Unity hat die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" vor dem Konflikt 40 mangelernährte Kinder im Monat behandelt - jetzt seien es monatlich mehr als 1000, berichtet Sarah Maynard, die Projektleiterin in Leer.

Neben Lebensmitteln fehlt es den Vertriebenen vor allem an sauberem Wasser, Saatgut, Moskitonetzen und Material zum Bau von Unterkünften. Katharina Witkowski, die als Nothilfe-Koordinatorin von "World Vision" vor Ort ist, sorgt sich besonders um die Kinder, die ihre Familien verloren haben: "Sie sind in steter Gefahr, sexuell missbraucht oder als Kindersoldaten rekrutiert zu werden."

In den Lagern kämpften sich Tausende Menschen jetzt durch knietiefen Schlamm und leben auf engstem Raum, so dass sich Infektionskrankheiten schnell ausbreiten. "In dieser äußerst angespannten Lage innerhalb der Camps und bei der wachsenden Bedrohung von außen bekommen Kinder nicht die nötige Unterstützung", sagt Witkowski. "Tausende könnten bald an Krankheiten sterben und Hunderttausende zu einer verlorenen Generation werden."

Die Welt sieht keineswegs tatenlos zu, wie der afrikanische Staat untergeht. Doch es fehlt vor allem an Geld, um breite Hilfe zu leisten. "Es gibt lediglich 120 Kilometer geteerte Straßen. Aber der Lebensmitteltransport mit Lastwagen wäre ohnehin zu gefährlich", sagt Ekkehard Forberg. Es gehe nur mit "Food-Drops", den Hilfsgüter-Abwürfen durch Hubschrauber. Die Vereinen Nationen könnten von Kenia aus mit gemieteten Helikoptern in gefährdete Regionen fliegen.

1,8 Milliarden US-Dollar (13,3 Milliarden Euro) haben die UN für die Hilfsaktionen im Südsudan insgesamt veranschlagt. Aber dieser Hilferuf ist nicht einmal zur Hälfte finanziell abgedeckt. Es gibt zurzeit einfach zu viele Katastrophen auf dieser Welt: Nach UN-Berichten sind die durch die internationale Gemeinschaft beschlossenen Kriseninterventionspläne derzeit nicht nur für den Südsudan massiv unterfinanziert. So fehlen im Fall des benachbarten Somalia 83 Prozent und für das Bürgerkriegsland Syrien 60 Prozent der benötigten Mittel. Für seine Projekte im Südsudan braucht Unicef rund 38 Millionen Dollar. Es seien aber bislang nur 4,6 Millionen Dollar an Hilfsgeldern eingegangen, klagt Jonathan Veitch.

Deutschland hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes in diesem Jahr 12,5 Millionen Euro humanitäre Hilfe mobilisiert, um die Lage im Südsudan zu verbessern. Hinzu kommen 1,7 Millionen Euro für südsudanesische Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Uganda und Äthiopien. "Wir sollten nicht den Fehler machen, die Schuld auf die UN zu schieben. Die Regierung im Südsudan muss in die Verantwortung genommen werden", sagt Forberg. Dazu gehöre auch verstärkter internationaler Druck, um eine Waffenruhe durchzusetzen: "Die Bundesregierung muss sich nachdrücklich um eine Fortsetzung der Friedensgespräche in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba kümmern."

(RP)
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