Merkels Botschaft: Die Euro-Krise wird gelöst Die Alles-wird-gut-Kanzlerin

Berlin · Sachlich, geschäftsmäßig, nüchtern erklärt Angela Merkel vor den Journalisten der Hauptstadt ihre Politik. Die Botschaft: Die Euro-Krise wird gelöst, Innenpolitisches ist nicht so wichtig. Merkel wirkt wie die Vorstandschefin der Deutschland AG. Nur bei Europa blüht Merkel richtig auf.

Nach 80 Minuten regierungsamtlicher Politik-Hypnose dann doch ein Moment des Kribbelns. Angela Merkel hat nüchtern, pragmatisch, meist monoton vor der Bundespressekonferenz über ihre Politik doziert, da fragt ein Journalist, welche Unterschiede sie eigentlich zwischen ihren Koalitionspartnern SPD (2005-2009) und der FDP (ab 2009) ausmachen könne. "In einer großen Koalition gibt es immer noch einen Partner, der möchte auch den Kanzler stellen", entgegnet Merkel schlagfertig. Das gelte für die FDP nicht. "Herr Rösler ist gerne Vizekanzler." Lachen im Saal. Einige Korrespondenten schrecken aus ihrem Sekundenschlaf auf.

Merkels Pointe sitzt. Es bleibt an diesem Montag allerdings die einzige überraschende Antwort der Regierungschefin. Was die Kanzlerin in fast eineinhalb Stunden zuvor an Aussagen zu relevanten Themen von Atomausstieg bis Zuschussrente trifft, erinnert an den Vortrag eines Vorstandsvorsitzenden bei der Quartalspressekonferenz. Motto: Wir haben viel geschafft, aber es bleibt noch viel zu tun.

Politische Botschaften, neue Initiativen der schwarz-gelben Regierung ein Jahr vor der Bundestagswahl, konturierte Positionen in aktuellen Streitfragen sind nicht Bestandteil von Angela Merkels traditioneller Pressekonferenz vor dem Verein der Hauptstadtjournalisten. Die Frage, warum dieses Land Schwarz-Gelb unbedingt braucht, geschweige denn, im Herbst 2013 wiederwählen sollte, beantwortet Merkel nicht. Im Gegenteil: Es wirkt, als hätte die CDU-Chefin innerlich mit ihrer Koalition abgeschlossen. "Wir sind eine Regierung, die den Problemen offensiv begegnet und einiges vorzuweisen hat", sagt sie an einer Stelle und schaut dabei nach unten auf das Pult, als müsse sie die Sätze ablesen. Die Koalition bestehe eben aus drei Parteien, rechtfertigt Merkel den Dauerstreit in ihren Reihen. Die Frage nach einer großen Koalition nach der kommenden Bundestagswahl, laut aktuellen Umfragen der Mehrheitswunsch der Deutschen, beantwortet Merkel nur mit einem passiven Satz: "Ich werde nicht darauf hinarbeiten." Eine politische Rechtfertigung für ihre Koalition, die sie im Herbst 2009 noch als "Wunschkoalition" bezeichnet hatte, folgt nicht.

Geschäftsmäßig spult die 58-Jährige fortan ihre Textbausteine zu aktuellen innenpolitischen Fragen herunter. Energiewende? "Eine große Herausforderung. Wir werden es packen." Strompreise? Werden wohl steigen, aber dafür senke die Regierung ja den Rentenbeitragssatz. Altersarmut? "Ganz wichtiges Thema." Die Regierung werde bald eine Antwort darauf geben. Das Modell einer Zuschussrente bedürfe aber "Modifikationen". Welche? Fehlanzeige. Atommüll-Endlager? "Wir sind an einer Lösung interessiert." Wie soll die aussehen? Keine Antwort. Sollte man das Islam-kritische Video, das derzeit weltweit zu Protesten führt, in Deutschland öffentlich zeigen dürfen? Eher nicht. Müssen aber die zuständigen Institutionen entscheiden, sagt die Kanzlerin. Aber ein Verbot gehe natürlich nicht.

Prüfen, abwarten, Schau'n mer mal, wird schon, lautet die Botschaft. Man habe alles im Griff. Es ist der Tag der "Einerseits-Andererseits"-Kanzlerin. Was Merkel wirklich will, bleibt im Nebel ihrer Wortgirlanden hängen. In der Innenpolitik will sie bis zur Bundestagswahl offenbar nicht mehr anecken. Auf einen Termin für das nächste Treffen des Koalitionsausschusses warten FDP und CSU seit Wochen. Doch im Kanzleramt herrscht die Meinung vor, es gebe derzeit nichts zu entscheiden. Zuletzt waren die Spitzen von Union und FDP im März zusammengekommen, um innenpolitische Streitpunkte auszuräumen und Kompromisse zu schließen.

Es ist nicht genau klar, wann sich Angela Merkel dazu entschlossen hat, die Europapolitik als Kernelement ihrer Regierungsarbeit anzuerkennen. Doch auch vor den 600 Journalisten in Berlin wird deutlich, dass die Kanzlerin ihr politisches Projekt gefunden hat. Europa weckt eine fast kindliche Neugier bei Merkel, tief hat sie sich in die Verästelungen der EU-Verträge und der finanzpolitischen Abhängigkeiten hineingefuchst. Die Politik müsse in der Euro-Krise ihre "innere Freiheit" gegen die Übermacht der Finanzmärkte wiedergewinnen, sagt Merkel plötzlich mit Pathos in der Stimme. Es gehe um die "Zukunft Europas". Fast träumerisch fügt sie hinzu: "Wir können nur miteinander glücklich sein." Für Angela Merkel ist die Überwindung der Euro-Krise ein fast emotionales Anliegen geworden. Merkel will den Kontinent fitter machen für den Wettbewerb mit den Boom-Regionen der Welt. Ihre Gesten werden auslandend, ihre Stimme hart, wenn sie darüber spricht. Die Stichworte zu ihrer Politik: Wettbewerbsfähigkeit, Reformen, Glaubwürdigkeit. So sehr die Kanzlerin in der Innenpolitik Festlegungen verweigert, so entschlossen ist sie in der Europapolitik. Detailliert referiert Merkel über Zinssätze für Staatsanleihen in Irland, über Arbeitsmarktreformen in Spanien oder die Steuerverwaltung in Griechenland. Minuten lang erklärt sie den Unterschied zwischen Fiskalpolitik (also ihre Politik) und Geldpolitik (die Politik der unabhängigen Europäischen Zentralbank). Dies möge man doch bitte auseinanderhalten, warnt sie. Wohl wissend, dass sie sich damit den kritischen Fragen zur Rolle der EZB in der Krise entledigt.

Merkel will Europa umbauen. In ihrem Sinne. Bis Dezember soll es beschlussreife Vorschläge für weitere politische Schritte geben. Die Vertrauenskrise müsse überwunden werden. "Wir brauchen mehr Verbindlichkeit", sagt Merkel. Die wirtschaftspolitische Koordinierung müsse verbessert werden. Merkel will der EU-Kommission mehr Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten gegen ausgabefreudige Staaten geben. Eine einheitliche europäische Bankenaufsicht hat dagegen noch Zeit. "Was uns in Europa immer wieder geschadet hat, gerade gegenüber den Finanzmärkten, ist, wenn wir Ankündigungen gemacht haben, die zum Schluss nicht umgesetzt werden konnten."

Als ein Journalist die Kanzlerin fragt, wie sie mit der gestiegenen Macht der deutschen Kanzlerin in Europa umgehe, giftet sie gegen Altkanzler Gerhard Schröder. "Mein Vorgänger hatte genug Einfluss, dass er die Stabilitätskriterien aufweichen konnte." In dem Moment wirkt Merkel schon fast wie eine Wahlkämpferin. Ihr Thema für die politische Auseinandersetzung im kommenden Jahr hat sie jedenfalls gefunden: Europa.

(brö)
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