So feiern Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan Zwei Dosen Bier unterm Tannenbaum

Kabul · Der Afghanistan-Einsatz scheint im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland abgehakt. Doch noch knapp 900 Bundeswehrsoldaten müssen Weihnachten am Hindukusch verbringen. An Heiligabend darf bescheiden gefeiert werden. Auch ein Glas Punsch ist erlaubt.

So feiern Bundeswehrsoldaten Weihnachten am Hindukusch
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Der Heilige Abend beginnt im 5200 Kilometer Luftlinie entfernten Afghanistan mit einem außergewöhnlichen Fußballländerspiel: Deutsche Soldaten treten heute Morgen gegen britische Kameraden an - in Erinnerung an Weihnachten 1914, als an der Westfront die damaligen Feinde für ein paar Stunden ihren ganz persönlichen Frieden schlossen. Dieser unerlaubte Waffenstillstand vor 100 Jahren nahe dem Dorf Fréli-ghien im französischen Teil Flanderns ist historisch verbürgt. Das improvisierte Spiel vor den Schützengräben verloren die Deutschen damals mit 2:3.

Deutschland bekommt seine Elf samt Austauschspielern auch diesmal komfortabel zusammen, selbst wenn die Bundeswehr zum Jahresende hin die meisten der einst mehr als 5000 Soldaten vom Hindukusch abgezogen hat: 30 Deutsche leisten noch im Hauptquartier der internationalen Schutztruppe Isaf in der afghanischen Hauptstadt Dienst.

Das Weihnachtsfest beginnt in Kabul früher als in Deutschland, das Land ist in den Zeitzonen dreieinhalb Stunden voraus. Zurzeit ist es kühl, aber sonnig, noch hat es nicht geschneit. Um 16 Uhr wird Generalleutnant Carsten Jacobson, als stellvertretender Isaf-Kommandeur hinter dem amerikanischen Viersterne-General John F. Campbell die Nummer zwei im internationalen Hauptquartier, ausnahmsweise Dienstschluss für die Bundeswehr befehlen. "Jede Nation feiert dann für sich allein", berichtet Oberst Michael B. (52), der in Wachtberg bei Bonn wohnt und das zweite Mal nach Afghanistan kommandiert worden ist. "Zum Fest gibt es zwei Dosen Bier oder ein Glas Punsch, ansonsten gilt weiterhin strikt das hier verhängte Alkoholverbot."

Nach einem Gottesdienst findet ein gemeinsamer Filmabend statt, der 70 Jahre alte Klassiker "Die Feuerzangenbowle" mit Heinz Rühmann soll gezeigt werden. Noch ist es streng geheime Kommandosache, dass zu der kleinen Feier mutmaßlich auch der Weihnachtsmann auftritt: Carsten Jacobson in rotem Kostüm und mit weißem Rauschebart.

Für das Ehepaar Jacobson ist die Fürsorge für die unterstellten Soldaten und ihre Familien besonders wichtig: Ehefrau Sally, eine Engländerin, kümmert sich daheim im niedersächsischen Munster liebevoll um die Angehörigen. Unter anderem hat der von ihr 2006 gegründete Förderverein für Soldatenfamilien Anfang Dezember wieder einen Nikolausmarkt veranstaltet, bei dem Selbstgebasteltes für einen guten Zweck verkauft wurde.

Während der General morgen die deutschen Soldaten im knapp 430 Kilometer entfernten Masar-i-Sharif im Norden Afghanistans besuchen wird, geht im Hauptquartier in Kabul die Arbeit weiter. Heute jedoch ist Weihnachtsbesinnlichkeit angesagt: Michael B., der im neuen Jahr Silberhochzeit feiert, nimmt dann am Abend über das Internet-Bildtelefon "Skype" zu seiner Familie Kontakt auf. "Die Kinder sind bereits erwachsen und studieren, meine Frau wird mit ihnen meine Schwiegermutter besuchen."

Weihnachten gilt als das Familienfest, doch es sei für ihn diesmal keine traurige Zeit, sagt B. "Man ist nicht allein. Ich habe deshalb nicht das Gefühl, dass mir der wichtigste Tag des Jahres verloren geht. Hier sind meine Kameraden die Familie." Um es nicht allzu rührselig werden zu lassen, fügt der Offizier schnell hinzu: "Außerdem gilt für mich als Rheinländer das Rheinische Grundgesetz: Et es wie et es, et kütt wie et kütt. Und: Et hätt noch emmer joot jejange."

"Trotz der Erfahrung von fünf Auslandseinsätzen ist Heiligabend in dieser Lage immer noch etwas Außergewöhnliches", meint Stabsfeldwebel Michael S. (49). Der Westerwälder ist einer von 850 deutschen Soldaten, die noch in Masar-i-Sharif stationiert sind. Die Sonne scheint, der sonst so eisige Wind hat sich gelegt, in den Blumenbeeten im Feldlager blühen sogar die Rosen.

Die leckeren Plätzchen, Heidesand und Vanillekipferl, die ihm seine Familie per Feldpost zum Fest geschickt hat, hat S. in einer ruhigen Minute bereits verzehrt. Auch er will am Abend, zurück im Wohncontainer, mit seiner Frau und seinen zwei erwachsenen Kindern via "Skype" Kontakt aufnehmen. "Dann kann ich ins heimische Wohnzimmer schauen und beobachten, wie sie die Geschenke auspacken." Die Päckchen musste S. bereits im November aufgeben, im deutschen und norwegischen Marketender-Lädchen im Camp wurde unter anderem Schmuck und Parfüm angeboten.

In Masar-i-Sharif haben Deutsche, Ungarn und Schweden einen Kirchenchor und eine Posaunengruppe gegründet, die dem Heiligen Abend ein besonderes Flair geben. Vier kleine Weihnachtsmärkte hat es außerdem schon gegeben: Die Deutschen boten Glühwein und Crêpes an, die Niederländer Käsespezialitäten und die Belgier Pommes Frites.

In Masar-i-Sharif gibt es keine zentrale Weihnachtsfeier, nach dem ökumenischen Gottesdienst und dem Abendessen ziehen sich die Soldaten in einzelne Gruppen zurück. "Noch regiert der Alltag, es gibt viel zu tun", sagt Michael S. "Doch wenn am Abend die Ruhe einkehrt, wird das schon ein zutiefst gefühlsbetonter Moment."

(RP)
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