Zweiter Tag der Haushaltsdebatte Zweckoptimismus trotz Krise der Sozialsysteme

Berlin (rpo). Die Haushaltsdebatte zwischen Regierung und Opposition gleicht einem Kampf der Zweckoptimisten gegen die Zweckpessimisten. Während Union und FDP die wirtschaftliche Lage bedrohlich darstellen und das der Regierung anlasten, sieht die den Aufschwung weiterhin in greifbarer Nähe. BundesWirtschaftsminister Wolfgang Clement verbreitete Konjunkturoptimismus, die Regierung räumte aber auch Probleme bei den Sozialsystemen ein.

Hitzige Haushaltsdebatte 2004
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Hitzige Haushaltsdebatte 2004

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Foto: (alle) AP

Clement geht weiter von einem Konjunkturaufschwung aus. "Die Stagnation ist vorbei. Es geht aufwärts und es wird weiter aufwärts gehen. Darauf können Sie sich verlassen", sagte er in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Viele Zeichen zeigten nach oben. Der Export werde dieses Jahr um elf bis zwölf Prozent zulegen. Das Ansehen der deutschen Wirtschaft im Ausland sei "nie besser gewesen als heute". Wie tags zuvor Bundeskanzler Gerhard Schröder warf auch Clement der Opposition permanente Schwarzmalerei vor. Sie solle sich keine Hoffnung machen, mit der Verbreitung von "Trübsalstimmung" Punkte beim Wähler zu machen. Das durchschauten die Bürger.

Zum Auftakt der Debatte hatte der CDU-Politiker Hans-Joachim Fuchtel der Koalition vorgeworfen, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geschaffen zu haben. Sie teile sich in Menschen mit Arbeit und ohne. Nötig sei ein Gesamtkonzept, um allen Arbeitslosen eine Chance auf einen Job zu eröffnen, so Fuchtel. Schon bald werde die Zahl der Arbeitslosen auf fünf Millionen steigen, was ein "dramatischer Rekord" sei.

Sozialsystem in der Krise

Bei der Debatte über die Sozialsysteme räumte die Bundesregierung eine ernste Finanzkrise ein. Es sei klar, dass die Finanzierung der Rente "auf Kante genäht" sei, sagte Sozial-Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. In der Pflegeversicherung gäbe es ohne die Beitragserhöhung für Kinderlose ab 2005 "ernste Schwierigkeiten". Im Gesundheitssystem gebe es keinen Spielraum, die jüngste Reform abzumildern. Union und FDP warfen Rot-Grün vor, die Systeme gegen die Wand zu fahren.

Der designierte Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Zöller (CSU) sagte: "Es droht der finanzielle Offenbarungseid in den Sozialkassen." Damit stehe auch der innere Zusammenhalt der Gesellschaft auf dem Spiel. CDU-Sozialexperte Andreas Storm warf der Regierung vor, sie sei mit ihrem Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken, "grandios gescheitert" - und das, obwohl bei der Gesundheit massiv gespart, bei der Rente Nullrunden veranlasst und bei der Pflege die Leistungen eingefroren worden seien. FDP-Sozialpolitiker Heinrich Kolb sprach von "gewaltigen Problemen, die keinen Aufschub dulden". Bei Rente und Gesundheitswesen sei der "Anschlag erreicht".

Grund für die Krise ist aus Sicht von Union und FDP die Einnahmeschwäche der Sozialsysteme wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Einziges Gegenmittel seien Grundsatzreformen, so wie sie die Union vorschlage, sagte Storm. Wie Zöller verteidigte Storm den jüngsten Kompromissvorschlag zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung über eine einheitliche Kopfpauschale. Dieser löse die Krankheits- von den Arbeitskosten und sichere die Finanzierung der Krankenkassen unabhängig von der Beschäftigung, betonte Storm.

Attacke gegen Unions-Modell

Redner von SPD und Grünen nutzten die Haushaltsdebatte hingegen, den Unions-Vorschlag nochmals massiv zu kritisieren. Der bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Soziales, Horst Seehofer, habe mit seiner Kritik völlig recht, dass das Konzept "unterfinanziert, bürokratisch und unsolidarisch" sei, sagte Caspers-Merk (SPD). Seehofer war im Streit über das Unionskonzept zurückgetreten. Koalitionspolitiker sprachen von Finanzierungslücken von 18 bis 23 Milliarden Euro.

Statt radikaler Systemwechsel wolle man "den Sozialstaat im Rahmen des Möglichen mit den Menschen gemeinsam umbauen, damit wir ihn erhalten", sagte die SPD-Abgeordnete Waltraut Lehn. Am rot-grünen Konzept der Bürgerversicherung - "wie auch immer sie im Detail ausgearbeitet sein mag" - führe deshalb kein Weg vorbei, sagte Lehn.

Der Sozialetat beträgt im kommenden Jahr 84,4 Milliarden Euro und ist damit so groß wie kein anderer Einzelhaushalt. Der allergrößte Teil des Geldes - 77,9 Milliarden Euro - fließt in die Rentenkasse. Zöller soll am Freitag offiziell zum Nachfolger von Seehofer bestimmt werden. Sozialministerin Ulla Schmidt konnte an der Debatte wegen Krankheit nicht teilnehmen.

Die Aussprache endet am Freitag mit der Verabschiedung des Haushalts für nächstes Jahr. Er sieht 22 Milliarden Euro neue Schulden vor - etwa halb so viel wie 2004. Rot-grünes Ziel ist, den Etat verfassungskonform zu halten und den Euro-Stabilitätspakt zu erfüllen.

(ap)
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