Soziologe bei „Hart aber Fair“ “Wer alle für einige bestraft, macht alles nur schlimmer”

“Flüchtlinge und Kriminalität” ist Frank Plasbergs Thema am Montagabend: Seine Runde diskutiert harte Fakten, Fehler, Grenzen der Integration und findet sogar ein paar optimistische Ansätze für die Zukunft.

 Frank Plasberg diskutiert mit seinen Gästen über Zuwanderung.

Frank Plasberg diskutiert mit seinen Gästen über Zuwanderung.

Foto: privat/ARD-Screenshot

Darum ging’s Junge Männer, die aus Krieg und archaischen Gesellschaften fliehen, sind Frank Plasberg zufolge für viele Deutsche Grund zur Sorge. Er möchte von seinen sechs Studiogästen vor allem wissen: Können solche Flüchtlinge überhaupt in relativ kurzer Zeit integriert werden? Wie unsicher wird das Land durch sie?

Darum ging’s wirklich Die fünf Gäste auf dem Podium besprechen Konflikte bei der Integration von Zuwanderern, diskutieren über Abschiebeprobleme und Grenzen der Belastbarkeit. Ein Mitarbeiter des Integrations-Projekts 'Heroes' beschreibt, wie konkrete „Arbeit an der Basis“ funktionieren kann.

Die Gäste

  • Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamtes (BKA)
  • Markus Blume, CSU-Generalsekretär
  • Ruud Koopmans, Soziologe und Migrationsforscher
  • Isabel Shayani, WDR-Moderatorin des “Weltspiegels”
  • Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Asmen Ilhan, Gruppenleiter des Gewaltpräventions-Projekts “Heroes”

Der Frontverlauf Die Diskussion folgt auf die ARD-Dokumentation “Der Flüchtling und das Mädchen”. In der Reportage geht es um zwei tödlichen Messerattacken auf junge Mädchen in Darmstadt in Kandel, in beiden Fällen waren junge Flüchtlinge aus Afghanistan die Täter. “Was ist schief gelaufen?”, will Plasberg wissen. Seine Gäste erklären zunächst, wie wichtig es sei, genau zu unterscheiden und nicht zu pauschalisieren.

Steigende Gewaltkriminalität sei besorgniserregend, so Soziologe Ruud Koopmans, doch wenn man alle anderen Zuwanderer mit für die Vergehen einiger bestrafe, mache man alles nur noch schlimmer. Dem stimmt die Grüne Annalena Baerbock zu, die sich in Potsdam bei der Flüchtlingshilfe engagiert. Sie weiß aber auch: “Integration fällt nicht vom Himmel, Integration ist harte Arbeit.” Diese Arbeit erfordere Geld, Ressourcen und ständiges Aufeinanderzugehen.

Hoffnung macht dem BKA-Chef Holger Münch, dass Kriminalstatistiken durchaus auch Positives zutage fördern: Die Zahl der Tatverdächtigen unter Zuwanderern sei 2017 um vier Prozent zurückgegangen, bei Diebstählen sogar um 18 Prozent, obgleich Gruppe der Zuwanderer größer gewesen sei als zuvor.

Andererseits verzeichnete die Statistik bei Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein Plus von zwölf Prozent unter den Zuwanderern. Bei schweren Delikten wie Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung gibt es ein Plus von 15 Prozent. Koopmans wünscht sich angesichts dieser Zahlen in Zukunft eine “ganz andere Form der Flüchtlingspolitik”, die besser planbar und besser durchdacht sein müsse.

“Von einem anderen Planeten”

Die Runde spricht über Flüchtlinge ohne Bleibe-Perspektive, die häufiger straffällig werden und sich zum Teil wörtlich in Deutschland “durchschlagen”. Für CSU-Mann Blume eine Gelegenheit, Männer aus dem Maghreb und das Thema “sichere Herkunftsländer” ins Spiel zu bringen.

Damit sichert er sich eine scharfe Reaktion der Grünen: Ein Staat werde nicht per se für alle Gruppen sicher, nur weil ein paar Deutsche dort Urlaub machten, so Baerbock. Im gesamten Land, etwa in Algerien müsse es Verfolgungssicherheit für alle Gruppen geben für Frauen, kritische Journalisten oder Homosexuelle. “Wenn Sie diese Maßstäbe anlegen, dann sind es keine sichere Herkunftssaaten”, kritisiert sie Blume und plädiert dafür Fälle einzeln statt per Staat zu entscheiden. “Das sagt übrigens das Bundesverfassungsgericht, es wäre schön wenn sich auch CSU danach richten würde.”

Einig sind sich alle, dass es helfe, genau zu differenzieren, über welche Zuwanderer man spreche. Viele junge Afghanen mit denen sie gesprochen habe, so Isabel Shayani, räumten ein, sie kämen “in der Tat von einem anderem Planeten”, vor allem was den Umgang mit Frauen und Freiheit betreffe. Viele von ihnen aber sähen auch die Chancen, die junge Leute in Deutschland hätten. Das setzte bei ihnen unglaubliche Hoffnungen frei, das alte Leben hinter sich zu lassen.

Wie schnell funktioniert Umdenken?

Lässt sich Integration und ein Umdenken - etwa über Bild und Rolle der Frau - in einer Generation überhaupt erreichen?” Soziologe Koopmans zitiert dazu Studien, etwa über Gewalt gegen türkischstämmige Frauen, die ihn zweifeln lassen, dass es so schnell gehe.

“Heroes”-Mitarbeiter Asmen Ilhan, der in Berlin mit jungen Männern arbeitet, berichtet: “In jedem Workshop hören wir viele eher konservative Haltungen.” Ihm begegneten aber auch eine Menge Jugendliche, die sich freuten, dass Dinge in Deutschland anders laufen und die sich anderen Verhaltensweisen gerne öffneten. Diskussion sei ein guter Weg, die Jugendlichen zu eigenen Gedanken anzuregen. “Wir müssen sie einbinden, nicht über Flüchtlinge reden, sondern dafür sorgen, dass wir mit ihnen reden.”

“Ein System, das leicht missbraucht werden kann, wird leicht missbraucht”

Wer ist da eigentlich zu uns gekommen? Diese Frage beschäftige viele Deutsche, meint Plasberg und thematisiert junge Leute, die sich durch zu niedrige Altersangaben mehr Privilegien erschleichen. 21.500 dieser minderjährigen Kinder und Jugendlichen werden derzeit von der Jugendhilfe betreut. Hunderte allerdings machten offenbar bewusst falsche Angaben zum Alter. “Ein System, das leicht missbraucht werden kann, wird leicht missbraucht”, sagt BKA-Chef Münch. Er plädiert dafür, die Möglichkeit der medizinischen Analysen, etwas durch Röntgenbilder stärker zu nutzen.

Markus Blume besteht zuletzt darauf, Abschiebungen konsequenter durchzusetzen und dafür zu sorgen, “dass der Rechtsstaat nicht an sich selbst scheitert”. Es gebe alle möglichen Gründe, warum Abschiebungen nicht funktionierten, das dürfe aber kein Dauerzustand sein. Dabei könnten nach Ansicht des CSU-Mannes künftig die Ankerzentren helfen. Annalena Baerbock widerspricht ihm vehement. Wie Shayani und Münch findet auch die Grüne wichtig, an Verbesserungen des Systems zu arbeiten, und darauf zu achten, dass Gesetze und Regelungen eingehalten werden. Ankerzentren seien allerdings für sie kein Erfolgsrezept: “Zentren, in denen Leute eineinhalb Jahre eingesperrt werden, haben nichts mit Humanität und Ordnung zu tun.”

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