Westerwelle beim politischen Aschermittwoch "Zur Diplomatie bin ich nur im Ausland verpflichtet"

Straubing (RP). Guido Westerwelle, FDP-Vorsitzender (seit 2001) Bundesaußenminister (seit vier Monaten), Sozialpolitiker (seit einer Woche) klopft sich selbst auf die Schulter, wenn es die ehemalige politische Lieblings-Partnerin Angela Merkel schon nicht tut. Der studierte Jurist Westerwelle ernannte sich beim Politischen Aschermittwoch der bayerischen FDP in Straubing zum Anwalt von Millionen Steuerzahlern und zum heimlichen Vorsitzenden des fiktiven Vereins für deutliche Aussprache. Der Posten war, jedenfalls an Aschermittwoch, bislang von CSU-Matadoren besetzt.

Sprüche vom politischen Aschermittwoch 2010
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Foto: ddp

Nun also macht sich dort jemand breit, den der frühere CSU-Chef Stoiber einmal als politischen Leichtmatrosen verhöhnt hat, der sich selbst jedoch als Cäpt‘n sieht, getreu dem alten Westerwelle-Motto: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, ist einer, der die Sache regelt - und das bin ich." Selbstbewusstsein hat der Mann, das zeigte er auch an diesem Mittwochvormittag in Niederbayern. "Zur Diplomatie", sagte er, "bin ich nur im Ausland verpflichtet."

Seinen Kritikern aus den Reihen aller Parteien, vereinzelt sogar seiner eigenen, schleuderte Westerwelle entgegen: Millionen Bürger stünden hinter ihm in seinem Kampf für einen Sozialstaat: "Ich spreche aus, was in Wahrheit alle Politiker wissen, sich aber nicht trauen zu sagen. Das Volk will aber die Wahrheit hören und nicht beschummelt werden."

Er frage sich: "Wie linksextrem muss man in der Birne sein, um mein Verlangen nach mehr Leistungsgerechtigkeit als rechtsradikal zu bezeichnen?" Das gab orkanstarken Beifall in der Joseph-Fraunhofer-Halle unweit vom Ortskern Straubings. Die Zeiten sind vorbei, in denen die FDP Aschermittwoch in ein Passauer Lokal lud und meist nur rund hundertfünfzig Menschen kamen. Rund tausend Sympathisanten waren im Saal.

Es fehlt also nicht mehr viel, dann könnte sich der freidemokratische Aschermittwoch zu einem zweiten Straubinger Gäubodenfest entwickeln. Das ist nach dem Münchner Oktoberfest die größte Volks-Sause dieser Art und schon 198 Jahre alt. Martin Zeil (FDP), Bayerns Wirtschaftsminister, erinnerte schmunzelnd an die römischen Wurzeln der Stadt, die die "spätrömische Zeit gut überstanden habe" - eine feine Anspielung auf Westerwelles umstrittenen deftigen Vergleich zwischen Sozialstaats-Aufblähung und spätrömischer Dekadenz.

Guido Westerwelle also ein neuer Mann aus dem Volk für das Volk? Als neuer Cicero gar? Den großen Römer - noch eine Anspielung - zitierte Zeil so: "Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben. Die Mannsbilder der Blaskapelle "Straubinger Musikanten", in Lederhosen und Trachtenhemden gekleidet und zwischen acht und neun bereits mit Weißbier wohl versorgt, taten das Ihre, um dem ersten Liberalen des Landes die höchste musikalische Ehre zu erweisen, die es im Freistaat gibt: Das Spielen des Bayerischen Defiliermarsches, bei dem ein echter Bajuwar immer denkt: "Gleich kimmt er nei, d'r Kini, äh, d'r Herr Ministerpräsident."

Es kam aber der Außenminister von der FDP. "Weiter-so!"-Zurufe begleiteten Westerwelle an seinen Platz ganz vorn im Saal, wo auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP-Chefin in Bayern) sich niederließ.
Der Straubinger FDP-Stadtrat Franz Prockl lobte seinen Bundesvorsitzenden, er liege stilistische und inhaltlich richtig mit der Kernaussage: Wer arbeite, müsse mehr haben als der, der auf der faulen Haut liege. Westerwelle, der "Anwalt des gemolkenen Mittelstands" (Prockl) stellte sich wie einst an Aschermittwoch CSU-Legende Strauß in der Passauer Nibelungenhalle gegen den "linken Zeitgeist" und donnerte dazu unter frenetischem Beifall: "Ich bleibe dabei, dass sich Leistung lohnen muss, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als der, der nicht arbeitet." Es müsse in Deutschland schließlich noch ein paar Menschen geben, die den Karren ziehen: "Ohne Leistungsgerechtigkeit keine soziale Gerechtigkeit."

Westerwelle beklagte, dass seit 1998 der Mittelstand geschrumpft sei: Vor elf Jahren habe er zwei Drittel der Gesellschaft ausgemacht, heute nur noch gut die Hälfte: "Das ist brandgefährlich. Wer die Spaltung des Landes in arm und reich verhindern will, muss dafür sorgen, dass der Mittelstand stabile Brücke der Gesellschaft bleibt." Die FDP schütze die Schwachen vor den Starken, aber auch vor den Findigen und Faulen, die arbeiten könnten, aber es nicht täten. Geschickt nahm der gewiefte Redner die emsigen Kellnerinnen und Kellner im Saal in den sorgenden Blick: Diese schuftenden Menschen, die im Monat rund hundert Euro weniger hätten, als wenn sie Hartz IV bezögen, gehörten in den Mittelpunkt der Politik. Donnernder Applaus. Begeistertes Aufspringen der Zuhörer.

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