BDI-Chef warnt vor zu hohen Strompreisen Deutsche Industrie denkt an Abwanderung

Berlin · Die deutsche Industrie erwartet nach der Rezession im Winter einen Aufschwung im Frühjahr. Trotzdem denken viele Unternehmen wegen der hohen Energiekosten über den Abschied vom Standort Deutschland nach, warnt BDI-Präsident Russwurm zum Jahresauftakt.

 Siegfried Russwurm, Präsident vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), am Dienstag bei der Jahreasauftakt-Pressekonferenz.

Siegfried Russwurm, Präsident vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), am Dienstag bei der Jahreasauftakt-Pressekonferenz.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Die deutsche Industrie geht mit gemischten Gefühlen ins neue Jahr: Einerseits erwarte man im Frühjahr eine konjunkturelle Belebung, andererseits sei die Energiepreiskrise aber längst nicht überwunden, sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Für 2023 erwartet der BDI eine um 0,3 Prozent leicht schrumpfende Wirtschaft. Nach einer eher milden Rezession im Winterhalbjahr sollte es ab Frühjahr wieder aufwärts gehen, sagte Russwurm. Dafür spräche, dass die befürchtete Gasmangellage in diesem Winter ausbleiben werde, sich die Lieferkettenprobleme der Industrie langsam auflösten und auch China sich erholen werde.

Die Industrie habe jedoch weiterhin mit so hohen Strompreisen zu kämpfen, dass viele Unternehmen über Produktionsverlagerungen in günstigere Regionen nachdächten, etwa in die USA oder Kanada. Die Bundesregierung könne mit schnellen Weichenstellungen den Exodus vieler Unternehmen aber noch verhindern, indem sie – wie von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angekündigt – den Industriestrompreis generell senke.

Nach dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine vor einem Jahr hat Deutschland den Zugang zu günstigem russischen Gas verloren. Dadurch haben sich die Energiepreise für die Industrie drastisch erhöht, im Vergleich zu den USA etwa haben sie sich verfünffacht. Deutschland sei dabei, international Marktanteile zu verlieren, weil es zu teuer sei, warnte Russwurm. Die deutschen Exporte würden 2023 um ein Prozent zulegen, der Welthandel aber um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch der Anteil der Industrieproduktion an der Wertschöpfung sei von 2021 auf 2022 bereits um 0,5 Prozentpunkte auf 20,3 Prozent zurückgegangen. „Das ist kein gutes Zeichen“, so Russwurm.

Die Gas- und Wärmepreisbremse der Bundesregierung greift für industrielle Großverbraucher zwar bereits seit Anfang Januar, doch viele Unternehmen würden die Förderung ausschlagen, sagte Russwurm. Dies liege vor allem an hohen beihilferechtlichen Hürden der EU. Die Unternehmen müssten nachweisen, dass ihr Jahresergebnis 2023 um 40 Prozent unter dem des Vorjahres liegen werde. Wie hoch der Gewinn sein werde, wüssten die Unternehmen aber erst im März 2024, wenn ihre Jahresbilanz vorläge. Da unsicher sei, ob die Grenze überschritten wird, werde kein Förderantrag gestellt. Zudem gebe es die Auflage, keine Dividenden und Managerboni auszahlen zu dürfen. Letzteres sei eine „weltfremde Regelung“, da variable Gehaltsbestandteile in jedem Arbeitsvertrag der Manager enthalten seien.

Der BDI setzt auf Habecks Versprechen, den Industriestrompreis generell zu senken. Wie der Minister dies tun will, ist aber offen. Da der Staat den Industriestrompreis kaum aus seinem Haushalt direkt heruntersubventionieren wird, erwartet die Industrie die Streichung oder Senkung von Energiesteuern.

Auch die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft komme nicht voran, beklagte der BDI-Chef. „Es ist nicht so, dass wir derzeit eine Investitionswelle, eine Investitionslaune hätten“, sagte Russwurm. Dies liege neben den hohen Energiepreisen an zu langen Planungsverfahren für neue Projekte und Unsicherheiten bei der Energieversorgung. Die Unternehmen wüssten nicht, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien oder der von Wasserstoff-Pipelines in ihren Regionen schnell genug vorankämen.

Habeck habe dem BDI Ende letzten Jahres versprochen, 2023 zum „Jahr der Industriepolitik“ zu machen. Man sei gespannt, wann und was er hier liefern werde. Neben dem Strompreisdeckel für die Industrie könnten generell Steuerentlastungen und Superabschreibungen auf Investitionen für mehrere Jahre helfen.

Das Verhältnis zur Ampel-Regierung bezeichnete die neue BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner als gut. „Wir erleben interessierte und zugewandte Gesprächspartner, aber auch einen kritischen Diskurs“, sagte sie vor allem mit Blick auf das von Ex-Grünen-Chef Habeck geführte Wirtschaftsministerium.

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