Energieversorgung Zittern wegen knapp gefüllter Gasspeicher
Analyse | Berlin · Die deutschen Energiereserven sind auf historischem Tiefstand und der Winter noch nicht vorbei. Sollte noch eine Kälteperiode hereinbrechen, könnte es knapp werden. Politik und Wirtschaft wollen Zuversicht vermitteln. Doch die eisige Stimmung zwischen dem wichtigen Gasexporteur Russland und dem Westen bringt zusätzliche Ungewissheit.
Die deutsche Gasversorgung erlebt ein heikles Auf und Ab: Die Preise steigen, die Füllstände der Gasspeicher fallen ab. Noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Heizungen in Deutschlands Wohnungen demnächst kalt bleiben. Doch die Entwicklung der nächsten Wochen hängt davon ab, wie kalt dieser Winter noch wird. Hinzukommt der zugespitzte Konflikt in der Ostukraine und die eisige Stimmung zwischen Russland, einem der wichtigsten Gasexporteure, und dem Westen.
Aktuell sind die Speicher in Deutschland zu knapp 47 Prozent gefüllt, Tendenz sinkend. „Wird in dem Tempo der letzten Woche weiterhin Gas aus den Speichern entnommen, werden die Füllstände zum 1. Februar 2022 sehr deutlich unterhalb von 40 Prozent fallen“, sagte Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative INES, ein Zusammenschluss von Betreibern deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher. Bleschke geht von Berechnungen aus, wonach für eine einwöchige intensive Kälteperiode ein Füllstand von 40 Prozent zum 1. Februar erforderlich wäre. Für eine länger anhaltende Kälte von einem Monat wäre ein Füllstand von 50 Prozent zum 1. Februar notwendig. Die Reserven sind also knapp bemessen.
Es laufen Versuche, sich gegen eine Versorgungslücke abzusichern. Mit sogenannten Long-Term-Options (LTO) wollen die Speicherbetreiber über Sonderausschreibungen Gas für das Winterende sichern. Dennoch rät INES-Geschäftsführer Bleschke: „Mit den aktuell niedrigen Gasmengen in Speichern sollte sorgsam umgegangen werden.“
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) will dagegen Zuversicht vermitteln. „Jeder Gaskunde wird in diesem Winter eine warme Wohnung haben“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Geschäftsführung, unserer Redaktion. Deutschland beziehe kontinuierlich Gas aus verschiedenen Ländern, darunter Russland, Norwegen, die Niederlande und die USA. Andreae verweist auf laufende Gespräche mit diesen Ländern über mögliche Erhöhungen der geplanten Liefermengen. Und: „Russland hat seine Lieferzusagen bisher immer erfüllt“, so Andreae. Die Versuche, Stabilität zu vermitteln, sind nicht zu überhören.
Die Gasspeicher liegen in privatwirtschaftlicher Hand. Einer von vielen Gründen für die historischen Tiefstände waren die hohen Preise im Sommer 2021, die sich aus der anziehenden Konjunktur vor allem in Asien ergaben. Die Gasnachfrage stieg, folglich auch die Preise. Für Händler fehlte der Anreiz, die Speicher im Sommer aufzufüllen. Zusätzlich sorge der lange, kalte Winter 2020/21 dafür, dass lange Gas aus den Speichern entnommen wurde.
Auf politischer Ebene ist es manch einem ein Dorn im Auge, dass die Speicher weitgehend dereguliert sind. Das zu ändern, ist allerdings ein zeitaufwändiges Unterfangen. Für den Moment werden aus dem Wirtschaftsministerium Signale der Beruhigung gesendet: „Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist weiter gewährleistet.“ Die Speicher würden vor allem zur Spitzenlastabdeckung an kalten Wintertagen benötigt werden, heißt es aus dem BMWi. Es erfolge keine Versorgung des deutschen Markts alleine aus den Speichern, vielmehr würden sie den laufenden Energiebezug aus dem Pipelineimport ergänzen. Und: „Die Lieferverträge werden eingehalten“, so eine Sprecherin.
Dennoch, die Probleme auf den Gasmärkten sind unbestreitbar. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hob bei ihrem Besuch in Moskau die Dringlichkeit hervor: „Wir brauchen auch ein verlässliches Russland, um Europa in den nächsten Jahren als Übergang weiterhin mit Gas versorgen zu können, das wir noch für einige Jahre brauchen werden“, sagte Baerbock am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Selbst die EU-Kommission geht inzwischen davon aus, dass der russische Gasriese Gazprom seine Lieferungen bewusst drosselt. Es stimme nachdenklich, dass ein Unternehmen trotz wachsender Nachfrage sein Angebot einschränkt, erklärte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Donnerstag in Brüssel. „Das ist ein sehr seltenes Verhalten am Markt.“ Die Frage der Energiepreise habe hohe Priorität.
In den Niederlanden sorgt der gestiegene deutsche Gasbedarf unterdessen für interne politische Probleme. Die niederländische Regierung hatte eigentlich zugesagt, ihre Gasproduktion im Nordosten an der deutschen Grenze Ende 2023 zu stoppen und Lieferungen zurückzufahren. Stattdessen muss die Produktion nun wegen vertraglicher Verpflichtungen hochgefahren werden. Die Sorge in der Bevölkerung vor kleineren Erdbeben in der Provinz Groningen heizen den politischen Streit weiter an.
In Brüssel beteuert man, dass die stabile, sichere Versorgung der Bürger und Unternehmen in der EU mit sauberer Energie zu erschwinglichen Preisen „ein zentrales Anliegen der EU-Energiepolitik“ sei. Die Energiequellen seien diversifiziert worden und die EU verfüge über einen umfassenden Rechtsrahmen für den gemeinsamen Netzbetrieb und die Notfallplanung. „Alle EU-Regionen haben Zugang zu mehr als einer Gasquelle“, teilte ein EU-Beamter auf Nachfrage mit. An diesem Mittwoch soll die EU-Koordierungsgruppe Gas zusammenkommen und die Lage beraten.