Angela Merkel: Zehn Jahre CDU-Vorsitzende Zehn Merkel-Klischees

(RP). Am 10 April 2000 wählte die CDU Angela Merkel in der Essener Gruga-Halle zur Vorsitzenden. Was stimmt an den Urteilen, die über die CDU-Chefin heute im Umlauf sind? Versuch einer Zwischenbilanz.

Wie führende Europäer zu Angela Merkel stehen
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Erstes Klischee über Angela Merkel: Sie ist gar keine Christdemokratin.

Angela Merkel macht es ihren Parteigängern nicht leicht. Sie sei "mal konservativ, mal liberal, mal sozial", verriet Merkel einmal. Das ist für klassische Christdemokraten kein klares Bekenntnis. Dazu ihre Herkunft: der Vater ein linker Pfarrer in Mecklenburg, die Mutter bekennende SPD-Wählerin. Ist Merkel nur durch Zufall in der CDU gelandet? Nein, das christliche Menschenbild, versichert die CDU-Vorsitzende, sei Grundmotiv ihres Handelns. Die Entscheidung der Physikerin für die CDU war aber typischerweise keine Herzensentscheidung, sondern eine der Vernunft. Nach der Wende besuchte sie Veranstaltungen aller Parteien. Die CDU wirkte auf sie am seriösesten.

Zweites Klischee: Sie hat die CDU sozialdemokratisiert.

Die CDU war immer eine Partei, die wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit verband. Gewiss hat Merkel aber die soziale Komponente zuletzt stärker betont. Auslösendes Schockerlebnis war die Beinahe-Wahlniederlage 2005 mit dem "Leipziger Programm", das stark den marktorientierten Ideen des CDU-Wirtschaftsflügels folgte. Seitdem besetzt Merkel die Mitte und definiert die CDU eher gesellschaftspolitisch. Das ist oft schwammig, häufiger bedauerlich, hat die CDU aber als einzige Volkspartei erhalten.

Drittes Klischee: Sie will nur ihre Macht erhalten.

Merkel sagt, sie denke alle Prozesse vom Ende her. Das bedeutet auch, dass Merkel immer nach dem Nutzen für sich und ihren Machterhalt fragt. Doch sie verfolgt große Linien, die allerdings keine reinen Parteilinien sind. Aus ihrer Zeit als Umweltministerin (1994—1998) stammt ihr Interesse am Kampf gegen den Klimawandel. Aus dem eigenen Lebenslauf — geschiedene Protestantin aus dem Osten mit beispielloser Westkarriere — die Überzeugung, dass herkömmliche gesellschaftliche Aufstiegsmuster nur noch bedingt taugen. Also ließ sie sich in der CDU ein neues Frauenbild, ein neues Verhältnis zur Ökologie entwickeln. Sie war nicht die treibende Kraft, aber sie fand mit Ursula von der Leyen (Familie) oder Norbert Röttgen (Umwelt) schließlich ihr genehme Protagonisten.

Viertes Klischee: Sie ist längst wie Kohl.

Die Kanzlerin verdreht die Augen bei diesem Vorhalt. Aber auffällig ist, dass sie sich immer wieder auf Beispiele beruft, in denen Beharrlichkeit Kohl zum Ziel geführt habe. Sie würde es nur nie "Aussitzen" nennen.

Fünftes Klischee: Konkurrenten pflastern ihren Weg.

Kohl, Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz ließ Merkel hinter sich. In Kohls Fall setzte sich die damalige CDU-Generalsekretärin sogar an die Spitze der Gegenbewegung. Kohl trug es ihr einige Zeit nach, inzwischen zollt er ihr für ihre Härte in der Spendenaffäre Respekt. "Ich hätte es genauso gemacht", wird der Altkanzler glaubhaft zitiert. Fest steht: Merkel weiß sich durchzusetzen, wie es Männer eben auch tun. Nur überraschte das bei ihr eine Zeit lang.

Sechstes Klischee: Sie moderiert nur, führt nicht.

Parteifreunde und Kabinettsmitglieder wissen anderes zu berichten. Merkel haue durchaus auf den Tisch. Richtig ist, dass sie anders führt als ihre männlichen Vorgänger. Es gibt das von ihr früher einmal benutzte Bild des Schäfers, der "die Herde von hinten führt". Für die Schäferin ist das schmeichelhaft, die anderen bleiben Schafe. Deshalb verwendet Merkel das Bild mittlerweile nicht mehr.

Siebtes Klischee: Wie alle Kanzler interessiert sie sich nur noch für die Außenpolitik.

In der Tat absorbiert die Finanzkrise nach Merkels Schätzung "60, 70 Prozent" ihrer Aufmerksamkeit. Ihrem Naturell kommt die Art entgegen, in der sich internationale Politik organisiert: weniger medial als in der Innenpolitik, bilateral oder multilateral in Konferenzen. Dort braucht es vor allem Geduld, eine von Merkels herausragenden Eigenschaften.

Achtes Klischee: Sie handelt nicht wie eine Frau.

Diese Kritik lässt Merkel an sich abprallen, denn in vielem ist sie wohl eine typische Frau. Anders als manche Vorgänger ist sie etwa eine fleißige, gewissenhafte Leserin — von Akten wie Büchern. Eine andere Eigenschaft: Sie hört zu, versucht nicht, andere rhetorisch zu übertrumpfen. Das Verhalten männlicher Führungskräfte soll sie einst mit dem Gebaren an einem Pavianfelsen verglichen haben.

Neuntes Klischee: Sie hat heruntergezogene Mundwinkel, also keinen Humor.

Merkel ist mit den Jahren immer misstrauischer geworden. Nur wenn sie sich sicher fühlt, verblüfft sie mit ihrem Talent für Parodien: Ihre Fähigkeit als Imitatorin von Edmund Stoiber oder Friedrich Merz ist in Berlin ein gern erzähltes Geheimnis. Über ihr manchmal mürrisches Äußeres kann sie selbst lachen.

Zehntes Klischee: Sie ist nie im Westen angekommen.

Merkel ist ein zutiefst neugieriger Charakter. Sie hat sofort nach der Wende den Westen förmlich aufgesogen. Ihre erste Reise mit ihrem damaligen Lebensgefährten und heutigem Mann Joachim Sauer führte sie in die USA. Sie versucht in jedem Gespräch, Neues aus dem jeweiligen Umfeld des Gastes zu erfahren ("Was ist denn da in Duisburg los?"). Westdeutschland hat sie sich buchstäblich er-laufen: Freie Stunden während ihres ersten Aufenthalts in Köln 1990 als stellvertretende Sprecherin von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière nutzte sie zum Beispiel dafür, alle romanischen Kirchen abzuklappern ("Ich bin, tapp, tapp, tapp, von einer zur nächsten gelaufen"). Es sind zwölf.

(RP)
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