Debatte um Enteignungen Die Bibel gibt Robert Habeck recht

Düsseldorf · Dürfen Wohnungsbaukonzerne enteignet werden? Schon das Alte Testament berichtet von legitimen Eingriffen in Marktergebnisse. Ein Gastbeitrag mit einem modernen Blick auf das Neunte Gebot.

 Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck vor Beginn der 43. Bundesdelegiertenkonferenz 2018 in Leipzig.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck vor Beginn der 43. Bundesdelegiertenkonferenz 2018 in Leipzig.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Wie ein Traum aller Besitzenden liest sich heute das neunte Gebot. Und tatsächlich schützt es das Eigentum der Vollbürger des alten Israel. Die männlichen Rechtspersonen der damaligen Agrargesellschaft bekommen einen starken Schutz ihres Besitzes zugesprochen. Dabei steht der Schutz allen Nächsten oder allen anderen zu, wobei im Hebräischen begrifflich der „Nächste“ in den Zehn Geboten der gleiche „Nächste“ ist wie in der „Nächsten”liebe. Das ist durchaus gemeint als ein Schutz des Eigentums als Persönlichkeitsschutz.

Diese Schutz war überlebenswichtig in einer Gesellschaft, die ungleich weniger produktiv und arbeitsteilig war als die heutige, keinen Sozialstaat kannte und in der das Überleben an der Nutzung des Landes und des eigenen Hofes hing. Genau diese Höfe sollten unangefochten bleiben.

Natürlich sticht aus heutiger Sicht sofort ins Auge, dass neben dem Haus Frau, Knecht, Magd, Rind und Esel in einem Atemzug genannt werden. Aus der Perspektive des damaligen Rechts sind sie allesamt Teil des Besitzes und keine eigenständigen Rechtspersonen. Immerhin wird die Frau noch als erstes genannt.

 Ein Graffito "DW enteignen" prangt an der Brandmauer eines Wohnhauses im Berliner Bezirk Westend (Archivfoto).

Ein Graffito "DW enteignen" prangt an der Brandmauer eines Wohnhauses im Berliner Bezirk Westend (Archivfoto).

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Dabei ist der Schutz des Eigentums durchaus stark, weil nicht nur die Aneignung verboten wird, sondern schon das Begehren nach einem Gut. In der Bergpredigt radikalisiert Jesus dieses Begehren noch, indem er schon das Ansehen einer Frau, um sie zu begehren, unter scharfe Strafe stellt. Die gleiche Schärfe formuliert Jesus jedoch nicht nur für den Schutz des Eigentums. So erklärt Jesus einem reichen Großgrundbesitzer, dass es gilt Reichtum und Besitz radikal in den Dienst der Armen zu stellen, um Gottes Willen zu entsprechen. Allerdings gibt es an keiner Stelle im Neuen oder Alten Testament eine Aufforderung, den Besitzenden im Sinne einer sozialstaatlichen Umverteilung etwas wegzunehmen.

Wer nun diese Tatsache und das neunte Gebot nutzen will, um etwa Robert Habecks Forderung nach staatlichen Enteignungen als letztes Mittel im Bereich der heutigen Immobilienwirtschaft als Sünde zu schelten, übersieht jedoch eines: Schon das Alte Testament berichtet von legitimen Eingriffen in Marktergebnisse. So beschreibt der Leviticus genaue Regeln, wie Schuld- und Eigentumsverhältnisse wieder auf null gestellt werden sollen, um Überschuldung zu verhindern. Die Regeln zum Erlassjahr sind so radikal, dass ihre Umsetzung im realen Wirtschaftsleben des alten Israel infrage gestellt werden muss. Doch entscheidend sind nicht die Details, sondern der Anspruch: Trotz des scharfen Gebots zum Schutz des Eigentums im neunten Gebot können Marktergebnisse sozialethisch so fragwürdig werden, dass sie rückabgewickelt werden müssen.

Und auch der Prophet Jesaja geißelt all jene, die „ein Haus zum andern bringen und einen Acker an den andern rücken, bis kein Raum mehr da ist und ihr allein das Land besitzt! … Fürwahr, die vielen Häuser sollen veröden, die großen und feinen unbewohnt sein.So lugt also schon zwischen den Zeilen des Alten Testaments ein Robert Habeck.

Und freilich gab es zur Zeit des Alten Testaments nicht einmal die Idee eines Sozialstaats. Heute muss sich staatliches Handeln aus christlicher Sicht an grundlegenden sozialethischen Maßstäben messen lassen: Der der Nächstenliebe, der Orientierung an den Schwächsten und des sozialen Zusammenhalts. Und das kann – etwa in überhitzten Wohnungsmärkten – einen Eingriff in die Eigentumsverhältnisse rechtfertigen. Ob Enteignungen dabei im Vergleich zu anderen Mitteln das wirksamste Mittel sind, ist wieder eine andere Frage. Eine Frage, die man aber heute nicht mit dem neunten Gebot beantworten sollte.

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