Interview Zahlen wir in fünf Jahren noch mit dem Euro, Herr Biedenkopf?

Berlin · Kurt Biedenkopf gilt als einer der bedeutendsten Unions-Politiker. In Sachsen gewann "König Kurt" ab 1990 dreimal bei Wahlen die absolute Mehrheit. Noch heute ist der 85-Jährige als Anwalt, Autor und Redner gefragt. Ein Interview.

 Kurt Biedenkopf sprach mit unserer Redaktion.

Kurt Biedenkopf sprach mit unserer Redaktion.

Foto: dpa

Richard von Weizsäcker hat in seiner berühmten Rede von 1985 am Schluss ausgerufen: "Halten wir uns an das Recht!" Die europäischen Währungsverträge sind in Serie verletzt worden. Ein erbärmliches Zeichen mangelnder Rechtstreue, oder?

Biedenkopf: Wir ernten jetzt die Früchte einer unzureichend strukturierten Währungsunion. Die Vertragsverletzungen kann man nicht leugnen. Rügen kann man sie nur, wenn die Verträge die zugrundeliegenden Ursachen für die Verletzungen nicht selbst geschaffen haben.

Was heißt das?

Biedenkopf: Das Kernproblem ist: der Euro wurde in voller Kenntnis des Umstandes eingeführt, dass es nicht gelungen war, die entscheidende Institution, nämlich eine wirksame Finanzaufsicht der Eurozone zu schaffen. Bundeskanzler Kohl war bis kurz vor der Einführung des Euro überzeugt, dass eine Währungsunion ohne diese Kontrollinstanz Unsinn sei. Für den Vorschlag, die Euroeinführung deshalb aufzuschieben, war Kohl aufgeschlossen, aber der Vorschlag müsse, so Kohl, von den Franzosen kommen. Womit er Recht hatte.

Kriegen wir denn in der Eurozone diese Wirtschaftsregierung noch?

Biedenkopf: Wir sind auf der Suche nach ihr und haben als Ersatz eine Reihe von Institutionen geschaffen wie die Troika oder die Kontrolle durch die Europäische Zentralbank.

Hatte der spätere Kanzler Schröder doch Recht, als er den Euro eine kränkelnde Frühgeburt nannte?

Biedenkopf: Schröder war nicht der einzige Kritiker. Der Freistaat Sachsen war 1998 als einziges Land im Bundesrat, das der Einführung des Euro zu dem frühen Zeitpunkt nicht zustimmte. Bayerns Ministerpräsident Stoiber wollte sich zunächst auch enthalten, hat es sich dann aber anders überlegt.

Kann die Europäische Zentralbank die Funktion der Kontrollinstanz wahrnehmen?

Biedenkopf: Sie muss damit fertig werden, dass zahlreiche Regierungen in der Eurozone nicht in der Lage sind, die Stabilitätskriterien einzuhalten.

Führt die Eurorettungspolitik im Ergebnis dazu, dass Deutschland als Hauptgläubiger der Problemländer wieder von "Nichtfreunden" umzingelt ist?

Biedenkopf: Das halte ich für maßlos übertrieben. Betrachten Sie Griechenland: Würde die Bundesregierung von unserer Bevölkerung auch nur einen Bruchteil der von Griechenland geforderten Strukturveränderungen innerhalb kurzer Zeit verlangen, wäre bei uns die Hölle los. Wir erwarten von den Griechen Dinge, die wir selbst nicht leisten könnten.

Sie haben Verständnis für das neue griechische Selbstbewusstsein?

Biedenkopf: Ja! Die Griechen brauchen das. Ein Land kann die geforderten politischen Reformleistungen ohne Selbstbewusstsein nicht erbringen. Die Griechen sind nicht über uns verärgert, weil sie Deutsche hassen, sondern weil sie in Deutschland die Gläubigermacht sehen, die ihnen Schwierigkeiten bereitet — und Gläubiger sind nie beliebt. Wir wiederum müssen den Griechen klar machen, dass auch unsere Bürger wissen wollen, wohin ihr Geld fließt.

Was halten Sie von den Billionen-teuren Stützungskäufen der EZB zu Gunsten kriselnder Euroländer?

Biedenkopf: Das Geldfluten nutzt wenig, wenn in den Ländern, denen damit geholfen werden soll, die Unternehmer fehlen, die mit dem Geld mehr neue Arbeitsplätze schaffen.

Befürchten Sie, dass der Euro durch die EZB-Geldflutung eine Weichwährung wird?

Biedenkopf: Nein! Von einer Weichwährung sind wir weit entfernt. Derzeit profitiert Deutschland am stärksten vom Euro. Aber Deutschland und Frankreich, die zusammen für mehr als 50 Prozent der gewährten Kredite haften, sollten eine stärkere personelle Repräsentanz im EZB-Rat und damit mehr Einfluss verlangen.

Das lässt sich doch angeblich nicht verändern.

Biedenkopf: Verändern lässt sich vertraglich alles, die Frage ist, ob es politisch möglich ist.

Werden wir in fünf Jahren noch mit Euro bezahlen?

Biedenkopf: Aber sicher.

Wie kann man junge Menschen, auf die es in der Zukunft ankommt, wieder mit dem europäischen Virus infizieren?

Biedenkopf: Ihre Frage setzt voraus, dass sie das zur Zeit nicht sind. Das stimmt aber nicht. Meine Frau und ich haben zusammen zwölf Enkel. Die Älteren erschließen sich bereits Europa und die Welt. Sie fragen nicht nach Grenzen. Die lernen Sprachen. Die erleben Europa und sind Europäer; das ist die entscheidende europäische Integration. Sie wollen auch in schwierigen Zeiten auf Europa nicht mehr verzichten.

Wächst auch in Deutschland rechts von der politischen Mitte eine starke Protestbewegung heran, siehe die Partei AfD oder Pegida in Sachsen?

Biedenkopf: Ja, das ist so. Wobei ich zu Pegida sagen möchte: Mal abwarten. Im Augenblick sehe ich keine große politische Wirkung. Aber auch das gilt: Politische Führung heißt, Menschen, die sich der Führung anvertrauen, nicht mitzunehmen wie Kinder an der Hand, sondern ernst zu nehmen, ihre Fragen zu beantworten und sich selbst zu erklären.

Sie waren unter anderem ein bedeutender CDU-Generalsekretär. Ist die AfD für die Union "brandgefährlich", wie Ex-Bundesminister Friedrich von der CSU meint?

Biedenkopf: Keine demokratische Bewegung in Deutschland ist brandgefährlich. Ursprünglich integrierte die CDU drei politische Strömungen: eine liberale, eine konservative und eine christlich-soziale. Ein Dreigestirn, das der CDU lange Zeit die Rolle einer dominierenden Volkspartei sicherte. Inzwischen droht der konservative Teil in der großen Koalition unterzugehen. Neue Bewegungen werden versuchen, den verwaisten Raum zu besetzen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort