Schäuble kritisiert USA "Das ist so was von blöd"

Berlin · Die Bundesregierung reagiert nach langem Zögern mit einer diplomatischen Ohrfeige auf die Spionage der US-Geheimdienste in Deutschland: Der oberste Geheimdienstler der Amerikaner in Berlin muss das Land verlassen. Führende Politiker kritisieren die USA ungewöhnlich scharf.

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Foto: dpa, nar cul

Wenn man den gesunden Menschenverstand einschalte, sei das Ausspionieren von Verbündeten "letztlich Vergeudung von Kraft", sagte Kanzlerin Angela Merkel. Finanzminister Wolfgang Schäuble sprach sogar von "Dummheit". "Das ist so was von blöd", sagte Schäuble.

Regierungssprecher Steffen Seibert begründete den spektakulären Schritt am Donnerstag mit den Ermittlungen gegen zwei mutmaßliche Spione der USA beim Bundesnachrichtendienst (BND) und im Verteidigungsministerium und den Spähaktionen der NSA. Damit ist das deutsch-amerikanische Verhältnis auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.

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Die US-Botschaft reagierte mit einer kurzen Stellungnahme auf die harsche Maßnahme. "Die Amerikanische Botschaft äußert sich grundsätzlich nicht zu Fragen, die die Geheimdienste betreffen", heißt es darin. Die Sicherheitspartnerschaft mit Deutschland habe jedoch nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert. Aus Washington gab es zunächst keinerlei Kommentar.

Der US-Repräsentant für die Geheimdienste soll die beiden mutmaßlichen Spione geführt haben. Sollte er der Aufforderung zur Ausreise nicht nachkommen, würde er von der Regierung zur unerwünschten Person ("persona non grata") erklärt. Dann müsste er innerhalb einer Frist - normalerweise 72 Stunden - zwingend das Land verlassen. Das wäre dann eine formelle Ausweisung.

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Foto: dpa, Jerome Favre

Innenminister Thomas de Maizière kündigte als weitere Konsequenz die Ausweitung der deutschen Spionageabwehr an. Die von den mutmaßlichen Spionen abgeschöpften Informationen bewertete der CDU-Politiker nach vorläufigen Erkenntnissen zwar als "lächerlich", fügte aber hinzu:
"Der politische Schaden ist dagegen jetzt schon unverhältnismäßig schwerwiegend."

Merkel betonte, in der Geheimdienstarbeit des 21. Jahrhunderts müsse es eine Konzentration auf das Wesentliche geben und nicht nur das technisch Mögliche gemacht werden, "so dass man vielleicht zum Schluss den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht". Die aktuellen Probleme in Syrien oder bei der Terrorabwehr seien für sie "absolut prioritär gegenüber der Frage, dass man sich jetzt als Verbündete gegenseitig ausspioniert".

Schäuble ging in seiner Bewertung des Agierens der USA noch weiter.
"Das ist so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen. Deswegen ist die Kanzlerin da auch "not amused"", sagte der CDU-Minister dem Sender Phoenix.

In der Bundesregierung hat sich seit einem Jahr massive Verärgerung über das Agieren von US-Geheimdiensten in Deutschland angestaut.
Sogar Merkels Handy wurde abgehört. In den vergangenen Tagen wurden mutmaßliche Spionagefälle beim BND und im Verteidigungsministerium bekannt. Beide Informanten sollen für US-Geheimdienste gearbeitet haben. Die Hilfskraft des BND, die für 25 000 Euro Geheimdokumente an den CIA verkauft haben soll, sitzt in Untersuchungshaft. Ein Referent aus der politischen Abteilung des Verteidigungsministeriums ist dagegen auf freiem Fuß, weil kein dringender Tatverdacht besteht.

Wegen der Spionageaffäre telefonierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auch mit seinem US-Kollegen John Kerry. Zum Verlauf des Gesprächs wurden keine Angaben gemacht. Möglicherweise wird es aber bereits am Wochenende ein persönliches Treffen der beiden Außenminister geben: Kerry und Steinmeier wollen beide zu den Atom-Verhandlungen mit dem Iran nach Wien reisen.

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags befasste sich ebenfalls mit der Spionageaffäre. Die Opposition begrüßte anschließend das Vorgehen gegen den US-Geheimdienstler, forderte aber weitere Schritte - wie eine Aussetzung der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen.

Die Bewertung de Maizières der abgeschöpften Informationen als "lächerlich" teilte das Gremium nicht. Die Abgeordneten wollen alle 218 Dokumente prüfen, die von dem BND-Mitarbeiter weitergegeben.

Keinerlei Erkenntnisse gebe es für die zunächst vermutete Ausspähung des NSA-Untersuchungsausschusses durch US-Geheimdienste, sagte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU). Auf dem USB-Stick des Verdächtigen mit den angeblich den Amerikanern verratenen Unterlagen gebe es lediglich ein Dokument, das den NSA-Ausschuss betreffe. Dabei handele es sich um eine interne Anweisung von BND-Präsident Gerhard Schindler, im Hinblick auf die Ausschussarbeit keine Akten zu vernichten.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) begrüßte die Aufforderung zur Ausreise des US-Geheimdienstrepräsentanten: "Ich glaube, es ist richtig, dass die Bundesregierung heute ein ganz klares Zeichen gesetzt hat, dass sie diese Art des Vertrauensbruchs nicht mehr tolerieren wird und dass wir einen Neuanfang miteinander wagen müssen." Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte der "Passauer Neuen Presse" (Freitag) zum schärferen Kurs der Regierung: "Mitarbeiter, die sich an Spionage gegen uns beteiligen, haben nichts mehr in Deutschland verloren. (...) Die Amerikaner müssen endlich damit aufhören, alles und jeden zu überwachen."

(dpa)
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