Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Europas meistgehasster Mann

Berlin · Seine Kritiker stilisieren Bundesfinanzminister Schäuble zum hässlichen Deutschen, Fraktionskollegen dagegen erklären ihn zum Helden. Der 72-Jährige hält verbissen an seinem Griechenland-Kurs fest: ein letzter Kampf um sein Lebenswerk.

Dieses "Fahndungsplakat" im Stadtzentrum Athens zeigt Wolfgang Schäuble als gesuchten Neonazi, schuldig der "Massenverarmung und Verwüstung". Wer ihn fange, erhalte "500.000.000 Küsse, die Liebe des ganzen Weltalls und universale Dankbarkeit".

Dieses "Fahndungsplakat" im Stadtzentrum Athens zeigt Wolfgang Schäuble als gesuchten Neonazi, schuldig der "Massenverarmung und Verwüstung". Wer ihn fange, erhalte "500.000.000 Küsse, die Liebe des ganzen Weltalls und universale Dankbarkeit".

Foto: AFP

Wolfgang Schäuble muss eigentlich nichts mehr tun, um in die Geschichtsbücher einzugehen. Er steht schon drin. Schäuble war in den vergangenen vier Jahrzehnten immer dann an führender Stelle, wenn es um politische Weichenstellungen historischen Ausmaßes ging. Er hat die EU-Verträge mitverhandelt, er hat den Vertrag zur deutschen Einheit maßgeblich geschrieben, er war Finanzminister, als sich die internationale Finanzkrise über den Atlantik nach Europa ausbreitete. Und nun kämpft Schäuble seit fünf Jahren darum, dass Griechenland die Euro-Zone nicht zerstört.

An diesem Freitag ist Schäuble im Bundestag der fünfte Redner, er soll für seinen Antrag werben, in dem steht, dass er jetzt Verhandlungen mit Griechenland über ein neues, drittes Hilfspaket von über 80 Milliarden Euro aufnehmen darf. Der 72-Jährige ist nicht besonders gut in Form an diesem Tag, er bringt seine Sätze nicht zu Ende, kaum eines seiner Argumente führt ins Ziel. Er glaubt ja auch nicht mehr wirklich an den Erfolg dieses dritten Hilfspakets. Trotzdem wird er diesen Weg, auf den sich die Regierungschefs der Euro-Zone am Montagmorgen geeinigt haben, in den kommenden Wochen noch einmal mitgehen.

Für Schäuble ist Grexit die bessere Lösung

Schäuble wirkt verbittert und angespannt. Er spricht von einem "letzten Versuch", Griechenland zu retten. Aber dass die Verhandlungen zum Erfolg führen, daran hat Schäuble seine Zweifel. Als zuständiger Ressortchef ist er in den letzten Wochen zu der Überzeugung gelangt, dass ein geordneter Euro-Ausstieg auf Zeit für Griechenland und die Euro-Zone der bessere Weg wäre. Er vertritt diese Meinung nicht, weil er Griechenland Böses will oder die ungeliebte griechische Regierung aus dem Amt jagen will, sondern weil er noch Schlimmeres vermeiden möchte: die Aufweichung oder sogar das Ende der gemeinsamen europäischen Währung, weil nicht die Einhaltung der Regeln zum Standard geworden ist, sondern deren trickreiche Umgehung.

Seit Tagen muss sich Schäuble massiver Anfeindungen erwehren; das hat auch emotional Spuren bei ihm hinterlassen. In sozialen Netzwerken und in der internationalen Presse wurde Schäuble zur deutschen Hassfigur Nummer eins stilisiert, griechische Zeitungen zeigen ihn mit Hitlerbärtchen. Im Bundestag hat ihm Oppositionschef Gregor Gysi von der Linken unterstellt, er persönlich zerstöre Europa. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagt, in Schäubles Brust poche kein "heißes Herz" für Europa.

Das ist harter Tobak, selbst für einen wie Schäuble, der schon so viele Schlachten geschlagen hat. Er fühlt sich missverstanden: Für die europäische Integration habe er mehr getan als viele andere, sagt er. Diese Krise lasse sich "leider nicht nur mit heißem Herzen" überwinden, man brauche auch einen "kühlen Kopf".

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Tatsächlich ist Schäuble als der "letzte Europäer" im Kabinett Merkel beschrieben worden. Seine Integrationsvorstellungen für Europa gingen stets weiter als die Angela Merkels. Schäuble hätte beispielsweise nichts gegen einen europäischen Finanzminister. Selbst einen europäischen Staat kann er sich vorstellen. Die Kanzlerin dagegen hält das Europa der Nationen hoch.

Regeln müssen eingehalten werden, so Schäuble

Auch jetzt sieht Schäuble in seinem Vorgehen keinen Widerspruch zu seiner pro-europäischen Linie. Nur wenn Regeln gelten und eingehalten werden, kann das europäische Projekt gelingen, ist Schäuble zutiefst überzeugt. Deshalb zeigt er weiter verbissene Härte - auch wenn ihn dies jetzt die hohe Reputation in aller Welt kostet und zu Zerwürfnissen innerhalb der Bundesregierung führt. Sein Verhältnis zu Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ist erschüttert, weil sich Gabriel von Schäuble distanzierte, obwohl ihm Schäubles Grexit-Vorschlag rechtzeitig bekannt war.

Die Positionen der Euroländer zu einem dritten Hilfspaket
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Schäuble wäre notfalls sogar zum Rücktritt bereit. "Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern", sagte er dem "Spiegel" von heute. Niemand könne sie zwingen, gegen ihre Überzeugungen zu handeln. "Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten", sagte Schäuble.

Was zunächst wie ein ausgebufftes taktisches Spiel des Bundesfinanzministers aussah, entpuppte sich im Laufe der letzten Tage als viel mehr: Schäuble will verhindern, dass sich die Währungsunion zu einer Haftungs- und Transferunion entwickelt. Er ist überzeugt, dass Griechenland keine Hilfskredite mehr erhalten darf, weil es vereinbarte Auflagen nicht umgesetzt hat.

Ohne Schäuble wäre Merkel der Durchbruch in Athen nicht gelungen

Viele fühlen sich an Schäubles Papier von 1994 erinnert, das er zusammen mit Karl Lamers schrieb. Damals hatte Schäuble schon vorausgesehen, dass die unterschiedliche Stärke der Volkswirtschaften die Integration erschweren würde. Er warb für ein Kerneuropa mit Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, das vorangehen sollte. Es kann gut sein, dass diese alte Überzeugung jetzt nachwirkt.

Am vergangenen Donnerstag hatte Schäuble in einer Fünfer-Runde im Kanzleramt erstmals erklärt, dass ein "Plan B", der vorübergehende Grexit, kommen müsse, wenn "Plan A" scheitert. Er zog ein Positionspapier aus der Tasche, das Gabriel am Folgetag anforderte. Die Kanzlerin, die Schäubles Grexit-Position nicht teilt, nutzte das Papier gleichwohl auf dem Euro-Gipfel, um eine maximale Drohkulisse gegenüber Athen aufzubauen. Ohne Schäubles Papier wäre ihr der Durchbruch wohl nicht gelungen.

Der Streit über die Griechenland-Politik hat aber auch das nie ganz reparierte Verhältnis zu Merkel wieder verschlechtert. Als der Bundestag der Kanzlerin gestern zum 61. Geburtstag gratulierte, war Schäuble fast der einzige, der nicht klatschte.

(RP)
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