Nach Treffen mit Wissing Die Letzte Generation will weiter protestieren
Berlin · Großer Medienrummel vor dem Eingang des Verkehrsministeriums in Berlin: Die Letzte Generation trifft sich mit Ressortchef Wissing. Die Rede ist von einem menschlich respektvollen Gespräch. In der Sache aber gibt es keine Bewegung.
Es ist eine Premiere und sie dauert länger als geplant. Als erster Bundesminister seit Beginn der massiven Blockadeaktionen in Berlin hat sich Volker Wissing am Dienstag mit drei Vertretern der Klimagruppe Letzte Generation getroffen. Eine Stunde sollte das Gespräch dauern, am Ende werden es zwei. Danach spricht die Aktivistin Lea Bonasera von einem menschlich respektvollen Gespräch. Am Kurs der Letzten Generation ändert das aber nichts: Die Proteste sollen weitergehen. Auch bei den inhaltlichen Differenzen bleibt es.
Anfang März noch besprühten Vertreter der Gruppe das Ministeriumsgebäude mit Wasser aus einem Feuerwehrauto und verpassten Wissing „eine kalte Dusche“. Und Autofahrer in Berlin brauchten auch am Dienstag starke Nerven. Die Letzte Generation blockierte erneut vielerorts Straßen. Die Polizei sprach von erheblichen Behinderungen und vielen Staus, zum Beispiel auf der Stadtautobahn A100.
Die Klimagruppe hat ihren Protest seit dem 19. April in der Hauptstadt verstärkt. Sie fordert eine „echte Verkehrswende“, wie Bonasera nach dem Gespräch mit Wissing bekräftigt. Konkret will die Letzte Generation ein generelles Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket im Nah- und Regionalverkehr - und einen „Gesellschaftsrat“ mit 160 gelosten Mitgliedern, der das Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle oder Gas in Deutschland bis 2030 konkret planen soll.
Forderungen, die Wissing ablehnt. Der FDP-Politiker äußert sich nach dem Gespräch nicht. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums teilte mit, es sei „ein sachlicher Austausch von Positionen und Argumenten“ gewesen. Im Dialog zu stehen, gehöre zum Wesen der Demokratie. „Um unsere Klimaziele zu erreichen, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens und keine Spaltung. Dieser Konsens muss auf demokratischem Weg erarbeitet und darf nicht mit Gewalt erzwungen werden.“
Vor dem Treffen hat Wissing seine Kritik an den Straßenblockaden bekräftigt: Er habe null Toleranz und Verständnis für Straftaten. „Das ist kein Mittel der Meinungsäußerung. Das muss mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden.“ Er halte es aber in einer Demokratie für wichtig, dass man Argumente austausche.
Die Argumente der Letzten Generation überzeugten ihn nicht, sagt Wissing. Es sei etwas merkwürdig, wenn man der Minister sei, der das Deutschlandticket und das 9-Euro-Ticket vorgeschlagen habe - und es dann Straßenproteste gebe, die ihn aufforderten, etwas für den Öffentlichen Personennahverkehr zu tun, so Wissing. „Ich finde es sehr anstrengend, wenn man in der Öffentlichkeit erlebt, dass Bürgerinnen und Bürger blockiert werden von einer Gruppe, die weniger Klimaschutzmaßnahmen fordert, als die Bundesregierung umsetzt. Das ist schon mehr als erklärungsbedürftig.“
Ihren Kurs versucht die Letzte Generation weiter zu erklären. Man wolle Mitte Mai noch einmal mit Wissing reden, sagt die Aktivistin Bonasera. Den Protest der Gruppe vergleicht sie mit dem Streik einer Gewerkschaft zur Durchsetzung eines Tarifabschlusses. Der bisherige Klimaschutz reiche nicht aus, es brauche dringend weitere Maßnahmen.
In der Tat ist der Verkehr eines der großen „Sorgenkinder“ beim Klimaschutz. Im vergangenen Jahr wurden gesetzliche Vorgaben zur CO2-Einsparung verfehlt. Die Emissionen stiegen im Vergleich zum Vorjahr auf 148 Millionen Tonnen CO2 leicht an - statt zu sinken. Nachdem die Corona-Einschränkungen weitgehend aufgehoben worden seien, habe der Pkw-Verkehr wieder leicht zugenommen, so das Umweltbundesamt. Der Zuwachs bei den Neuzulassungen von Elektroautos reiche nicht aus, um die Zunahme der Emissionen auszugleichen.
Das Verkehrsministerium wiederum verweist auf das Deutschlandticket oder Maßnahmen, um mehr Elektroautos auf die Straße zu bringen. Für viel Kritik bei Umweltverbänden hat gesorgt, dass die Spitzen der Ampel-Koalition eine Reform des Klimaschutzgesetzes vereinbart haben. Bisher müssen einzelne Minister ein Klimaschutzsofortprogramm starten, wenn Klimaziele in ihrer Verantwortung verfehlt werden - eigentlich müsste Wissing bis Mitte Juli ein solches Programm vorlegen.
Künftig aber soll die Bundesregierung nur insgesamt nachsteuern, wenn auch „auf Basis der Vorschläge“ der hauptsächlich verantwortlichen Ministerien - falls sich in zwei aufeinanderfolgenden Jahren abzeichnet, dass das Klimaziel für 2030 nicht erreicht wird. Die große Frage ist nun, ob die Reform des Klimaschutzgesetzes vor Mitte Juli in Kraft tritt.
Die inhaltliche Kluft zur Letzten Generation also könnte noch größer werden. Die Gruppe hofft auf Gespräche mit weiteren Vertretern der Bundesregierung - ganz besonders sieht sie Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Zug: „Herr Scholz, der als Klimakanzler angetreten ist, ist derjenige, der jetzt eine klare Position beziehen könnte.“