Frau Professor Schnitzer, wie lautet Ihre Bilanz für die ostdeutsche Wirtschaft nach 33 Jahren deutscher Einheit?
Chefin der Wirtschaftsweisen zur Einheit „Weltbild und Programmatik der AfD sind wirtschaftliche Standortnachteile“
Interview | Berlin · Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, sieht für ostdeutsche Regionen keine gute wirtschaftliche Zukunft, wenn dort die AfD an die Regierung kommen sollte. Die Einheitsleistung der Ostdeutschen sei enorm.
Schnitzer Angesichts der Lage, in der sich die ostdeutsche Wirtschaft zur Zeit der Wiedervereinigung befand, hat sie eine beeindruckende Entwicklung genommen. Der enorme Produktivitätsnachteil wurde gerade in den ersten beiden Dekaden nach der deutschen Einheit substanziell verringert und die anfängliche Massenarbeitslosigkeit abgebaut, auch dank notwendiger Arbeitsmarktreformen. Allerdings gibt es immer noch zu wenige große und innovative Unternehmen und somit immer noch eine deutliche Produktivitätslücke. Das schlägt sich auch in niedrigeren Löhnen nieder.
Ist die klimaneutrale Transformation eine besondere Chance für Ostdeutschland?
Schnitzer Die Transformation wird sich regional unterschiedlich auswirken. Braunkohleregionen in der Lausitz etwa leiden besonders darunter. Regionen mit guter Infrastruktur, Fachkräften und grünem Strom werden hingegen profitieren können, wie die Region um Magdeburg im Fall Intel gezeigt hat. Generell bietet die Transformation die Chance für neue, innovative Unternehmen aufzusteigen und das gilt natürlich auch für Ostdeutschland.
Welchen Sinn macht der mit 15 Milliarden subventionierte Aufbau neuer Chipfabriken in Dresden und Magdeburg?
Schnitzer Dort sollen Halbleiter und Chips produziert werden, also Komponenten, die für unsere Wertschöpfung in vielen Branchen wichtig sind, etwa in der Automobilindustrie. Aus deutscher und europäischer Sicht ist es gerade aus geostrategischen Gründen durchaus sinnvoll, diese Produktion vor Ort zu haben. Die Region um Dresden kann mit dem Mikroelektronik- und Softwareverbund „Silicon Saxony“ ein großes Angebot an Fachkräften, Zulieferern und Forschungseinrichtungen vorweisen.
Während der Westen stagniert, gibt es gerade im Osten etwas Aufwind. Warum?
Schnitzer Konjunkturell mag der Osten aktuell etwas besser durch die schwierige Lage kommen, das hat aber unter anderem mit der Mindestlohn- und Rentenerhöhung zu tun, wovon die ostdeutsche Kaufkraft überproportional profitiert hat. Außerdem gab es Einmaleffekte wie etwa die Eröffnung der Tesla-Fabrik in Brandenburg im vergangenen Jahr. Insgesamt können wir für Deutschland in diesem Jahr kein Wachstum erwarten. Aber ich bin optimistisch, dass sich das im nächsten Jahr bereits wieder ändert.
Es gibt immer noch Lohnunterschiede zwischen Ost und West. Warum ist das ökonomisch geboten? Und: ist das gerecht?
Schnitzer Das liegt unter anderem an der angesprochenen Unternehmensstruktur. In der Regel sind große Unternehmen produktiver und zahlen höhere Löhne. Im Osten gibt es davon nur sehr wenige. Die Tarifbindung ist außerdem deutlich geringer als in Westdeutschland, was sicher stellenweise dazu führt, dass für gleiche Arbeit weniger bezahlt wird. Schaut man sich allerdings die reale Kaufkraft an, also was man sich vor Ort mit dem verdienten Geld leisten kann, dann sind die Unterschiede zwar noch da, aber nicht mehr so groß. Und sie variieren, wie auch in Westdeutschland, stark zwischen den einzelnen Regionen, zum Beispiel zwischen Stadt und Land.
In welchem Zusammenhang stehen wirtschaftliche Entwicklung und hohe AfD-Werte in Ostdeutschland?
Schnitzer Mit Blick auf Ostdeutschland insgesamt gibt die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung keinen Anhaltspunkt für die weitverbreiteten hohen AfD-Werte. Betrachtet man die enorme Aufbau- und Transformationsleistung in den letzten drei Jahrzehnten gepaart mit dem heute hohen Lebensstandard gibt es eigentlich in der Regel keinen Anlass für ein solches Wahlverhalten. Erklärungen sind eher in der andauernden erlebten Unsicherheit zu suchen, dem Eindruck des ständigen Wandels. Es gab seit der Wiedervereinigung lange Zeit kaum wirtschaftliche Stabilität für Ostdeutschland und dieses Gefühl hat sich bei manchen Menschen stellenweise verfestigt. Aber auch hier gibt es regionale Unterschiede.
Wie würde sich ein AfD-Wahlsieg oder Regierungsbeteiligungen der AfD auf Investoren auswirken?
Schnitzer Es ist jetzt schon so, dass Investoren diese Entwicklungen kritisch beobachten. Sowohl das Weltbild als auch die Programmatik der AfD sind, nüchtern gesprochen, Standortnachteile. Die Gefahr, dass sich von der AfD regierte Länder, Städte oder Gemeinden isolieren, besteht. Dies würde zweifellos die Lücke zum Rest Deutschlands größer werden lassen, ganz zu schweigen vom Imageverlust. Eine erst kürzlich hochrangig veröffentlichte Studie des Kieler Ökonomen Moritz Schularick und Co-Autoren hat gezeigt, dass populistische Regierungen zu deutlich niedrigerem Wirtschaftswachstum, weniger Stabilität und dem Zerfall von Institutionen führen.