Nach dem Verfassungsurteil zum Bundeshaushalt Wirtschaftsweisen-Chefin fordert Aussetzen der Schuldenbremse
Berlin · Das jüngste Verfassungsurteil hat die Debatte über die Schuldenbremse befeuert: Die Chefin der Wirtschaftsweisen und die Gewerkschaften fordern die Regierung auf, die Schuldenregel wegen der Energiekrise erneut auszusetzen. Mittelfristig müsse sie reformiert werden.
Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat sich nach dem jüngsten Verfassungsgerichtsurteil für ein Aussetzen der Schuldenbremse im kommenden Jahr und mittelfristig für die Reform der Regel im Grundgesetz ausgesprochen. „Eine Reform der Schuldenbremse, die größere Spielräume für die Schuldenfinanzierung von Nettoinvestitionen schaffen würde, könnte für die Klimaprojekte Abhilfe schaffen“, sagte Schnitzer unserer Redaktion. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
Das Verfassungsgericht hatte am Mittwoch einen Teil der Finanzpolitik der Ampelkoalition für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Umwidmung von kreditfinanzierten 60 Milliarden Euro, die eigentlich zur Bekämpfung der Corona-Krise vorgesehen waren, in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sei nicht mit den Regeln der Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbar. Damit klafft in dem Fonds jetzt ein Loch von 60 Milliarden Euro. Viele Klimaschutz-Projekte und auch die Einführung eines Klimageldes für die Bürger stehen damit infrage.
„Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass man sich in dieser Legislaturperiode auf eine Reform der Schuldenbremse einigen können wird“, erklärte Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „Eine transparente Lösung könnte sein, eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen mit den Auswirkungen der Energiekrise und den dadurch erforderlichen Mehraufwendungen für die Abfederung der Lasten und dem notwendigen Ausbau der Energieversorgung“, sagte Schnitzer.
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts schränke den finanziellen Handlungsspielraum der Koalition erheblich ein. „Es wird deutlich schwieriger werden, die geplanten Investitionen für Klimaprojekte zu finanzieren und wie geplant ab 2025 das Klimageld auszuzahlen, mit dem die Einnahmen aus der CO2-Steuer an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden sollen“, sagte Schnitzer.
Auch der DGB fordert die Aussetzung der Schuldenbremse im kommenden Jahr. „Kurzfristig muss die Bundesregierung die Schuldenbremse nochmals aussetzen. Dafür gibt es eine gute Begründung, denn die Auswirkungen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell unserer Redaktion. Das jüngste Verfassungsurteil zeige, dass die Schuldenbremse unflexibler und investitionsfeindlicher sei, als viele in Deutschland gedacht hätten. „An einer grundlegenden Reform dieser Zukunftsbremse führt kein Weg vorbei. Die Reform sollte darauf abzielen, Nettoinvestitionen künftig von der Schuldenregel auszunehmen“, sagte Körzell.
„Zudem müssen endlich hohe Vermögen stärker zur Finanzierung der Transformation herangezogen werden. Alles andere wäre angesichts der Herausforderungen einfach verantwortungslos“, forderte der DGB-Vorstand. „Die notwendigen Investitionen in Klimaschutz und die Transformation müssen in jedem Fall trotz des neuen Urteils kommen. Die Ampel muss ebenso dafür sorgen, dass die dringende Unterstützung der energieintensiven Industrie und ein soziales Klimageld nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden“, erklärte Körzell. „Der DGB ruft die demokratischen Fraktionen im Bundestag auf, gemeinsam und zügig für eine tragfähige Lösung zu sorgen. Die Lage ist ernst, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland erwarten von der Politik Handlungsfähigkeit“, sagte er.