Viele offene Fragen Wirecard-Skandal kann Olaf Scholz im Wahlkampf schaden

Berlin · Die Oppositionsparteien sind nicht zufrieden mit den bisherigen Antworten des Finanzministers im Skandal um den insolventen Dax-Konzern. Sie kämen nur scheibchenweise, Antworten seien zudem nicht konkret genug und verwiesen stets auf die Finanzaufsicht Bafin. Ein Untersuchungsausschuss scheint unausweichlich zu sein.

 Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) Ende Juli nach einer Sitzung des Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal.

Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) Ende Juli nach einer Sitzung des Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Der Wirecard-Skandal wird die Nerven der SPD-Strategen in den vergangenen Wochen strapaziert haben: Am 25. Juni wurde bekannt, dass 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz des insolventen Dax-Konzerns frei erfunden waren, doch da war der Scholz-Zug längst ins Rollen gekommen. Am Montag kürten die SPD-Gremien den Bundesfinanzminister offiziell zum Kanzlerkandidaten. Intern hatte man sich schon vier Wochen früher auf ihn geeinigt. Dass die Oppositionsparteien im Wirecard-Skandal mittlerweile unangenehme Fragen nach der Verantwortung des Ministers und seines Hauses für das Versagen der ihm unterstehenden Finanzaufsicht Bafin stellen, konnte die Personalentscheidung offenbar nicht mehr ins Wanken bringen.

 Gleichwohl kann sich dieser Skandal ausweiten und Scholz im Wahlkampf empfindlich schaden. FDP, Linke, Grüne, AfD und auch die Union halten die bisherigen Antworten für unzureichend, die sie von Scholz im Finanzauschuss des Bundestags erhalten haben. Am 31. August und 1. September sollen weitere Sondersitzungen folgen. Danach wollen FDP und Grüne entscheiden, ob sie einen Untersuchungsausschuss beantragen. Für die Linke ist das bereits klar, Grüne und FDP steuern eindeutig darauf zu. Auch die AfD will einen Untersuchungsausschuss, allerdings wollen die anderen drei Parteien mit ihr nicht gemeinsame Sache machen.

 Im Kern geht es um die politische Frage, warum die Bafin und das Finanzministerium nicht hellhörig und aktiver geworden sind, obwohl seit Jahresbeginn 2019 Betrugsvorwürfe gegen Wirecard durch die Berichterstattung in der Londoner „Financial Times“ öffentlich bekannt geworden sind. „Wie Scholz zu sagen, jeder habe einfach nur seinen Job gemacht, ist nicht überzeugend. Es gab bis zur Insolvenz im Juni 2020 eine auffällige Zurückhaltung bei der Bafin gegenüber Wirecard und eine wohlwollende politische Unterstützung, obwohl die Vorwürfe schon seit Februar 2019 bekannt waren“, sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. „Die Rolle von Scholz in dem Skandal muss dringend aufgearbeitet werden. Wir brauchen dafür die vollen Befugnisse eines Untersuchungsausschusses.“ Das Finanzministerium beantworte Fragen der Abgeordneten bisher nur scheibchenweise und rücke die Verantwortung der Finanzaufsicht in den Vordergrund. Toncar sieht eine Erklärung dafür  jetzt auch in der Kanzlerkandidatur von Scholz. „Er will um jeden Preis das Image des sauberen Regierungshandelns erhalten“, sagte Toncar.

Scholz’ Staatssekretär Wolfgang Schmidt hatte sich im Sommer 2019 für Wirecard in China eingesetzt, im September tat das auch die Kanzlerin. Zudem machte Bafin-Chef Felix Hufeld mehrere Aussagen vor dem Finanzausschuss, die er hinterher korrigieren musste. Er erklärte etwa, dass die Bafin, die Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) gemeinsam entschieden hätten, die Wirecard AG nicht als Finanzunternehmen, sondern als Technologiekonzern einzustufen. Wegen dieser Einstufung hatte die Bafin nur die Wirecard-Bank als einziges von 55 Töchtern der Wirecard-Holding strenger überprüfen lassen. Die EZB dementierte jedoch, dass sie diese Entscheidung mitgetroffen habe. Sie nehme die Einstufungen der zuständigen nationalen Finanzaufsicht lediglich zur Kenntnis.

„Bafin-Chef Hufeld verwickelt sich immer mehr in Widersprüche, doch Scholz hält weiter die Hand über ihn“, sagte Linken-Finanzexperte Fabio de Masi. Unverständlich ist für ihn auch die Untätigkeit des Ministers beim Thema Geldwäschebekämpfung. „Es gab jede Menge Geldwäsche-Verdachtsmeldungen gegen Wirecard, aber der Finanzminister hat das Chaos bei der Anti-Geldwäsche-Behörde FIU immer weiter laufen lassen.“ Nach Recherchen von NDR und „Süddeutscher Zeitung“ soll die Financial Intelligence Unit, die dem Zoll zugeordnet ist, Hunderte Hinweise auf Geldwäsche durch den Wirecard-Konzern in den letzten Jahren nicht an die Staatsanwaltschaften weitergegeben haben. Der Zoll bestritt dies am Dienstagabend. Die Linke sieht Finanzminister Scholz auch für Fehler der FIU verantwortlich.

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