Ministerin von der Leyen im Interview "Wir wollen den Mindestlohn umsetzen"

Berlin · Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen will sich nach dem CDU-Parteitag mit CSU und FDP sowie den Tarifparteien darüber beraten, wie sich eine Lohnuntergrenze durchsetzen lässt. In der Europapolitik fordert sie im Interview mit unserer Redaktion ein Zusammenstehen der Nationen, um den "Schwarm Piranhas" der Finanzmärkte abzuwehren.

Ursula von der Leyen - EU-Kommissionschefin und siebenfache Mutter
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Das ist Ursula von der Leyen

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Foto: AP/Efrem Lukatsky

So wirtschaftsliberal wie beim Parteitag in Leipzig 2003 war die CDU nie zuvor und nie wieder in ihrer Geschichte. So sozialdemokratisch wie heute war sie auch noch nicht. Welche ist die echte CDU?

von der Leyen Die echte CDU ist die CDU der sozialen Marktwirtschaft. Vor zehn Jahren sah die Welt ja auch noch anders aus. Da hatten wir eine hohe Tarifbindung in Deutschland. Die Lohnschere zwischen oben und unten klaffte nicht so weit auseinander. Inzwischen sind die untersten Einkommen real gesunken, trotz unseres großen wirtschaftlichen Erfolges. Wenn das Prinzip immer noch gelten soll, dass alle, die mitarbeiten, auch am Erfolg teilhaben, dann müssen wir die untersten Löhne stützen.

Welchen Anteil haben Sie persönlich am Wandel der CDU?

von der Leyen Ich bin jetzt seit acht Jahren Ministerin und habe sicherlich das eine oder andere, auch aus meiner Lebenserfahrung heraus, eingebracht. Ich habe mitgemischt, und das möchte ich in der CDU auch fortsetzen.

Sind in der CDU jetzt alle alten Zöpfe abgeschnitten?

von der Leyen Jeder Zopf ist irgendwann alt, wenn die Zeit weiterschreitet. Modernisierung bedeutet, am Puls der Zeit zu bleiben, neue Probleme wahrzunehmen und Antworten zu finden. Selbstverständlich wird die CDU in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch viele Veränderungen mitmachen, die ich heute nicht voraussehen kann. Die Grundwerte und das christliche Menschenbild bleiben erhalten.

Erwarten Sie auf dem Parteitag eine Kampfabstimmung zum Mindestlohn?

von der Leyen Ich hoffe, dass wir eine breite Mehrheit finden für ein grundsätzliches Ja zu einer allgemeinen, verbindlichen Lohnuntergrenze. Das fordert die Mehrheit der Basis. Über die Details werden wir diskutieren.

Sollte sich die Lohnuntergrenze am Mindestlohn in der Zeitarbeit orientieren?

von der Leyen Meine Vorstellung ist, dass der Mindestlohn unabhängig in einer Kommission von Gewerkschaftern und Arbeitgebern ausgehandelt wird. Die Politik sollte deswegen keine Größenordnung vorgeben.

Das heißt, Ihre Position beim Mindestlohn ist näher an der Bundeskanzlerin als beim Arbeitnehmerflügel der CDU?

von der Leyen Hier ja. Im Grundsatz bin ich völlig beim CDA-Vorsitzenden Karl-Josef Laumann, der den Prozess auf den Weg gebracht hat. Ich habe großen Respekt und Achtung davor, wie er das mit der Arbeitnehmerbewegung geschafft hat. Ob es aber klug ist, für den Mindestlohn eine Orientierung an der Zeitarbeit festzulegen, darüber werden wir diskutieren. Schließlich steht die Zeitarbeit nur für drei Prozent der Arbeitsverhältnisse, und eine allgemeine Lohnuntergrenze sollte branchenübergreifend Akzeptanz finden.

Wie bewerten Sie die Studien, wonach ein Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet?

von der Leyen Diese Studien gibt es, aber sie sind alle in die graue Theorie hinein geschrieben worden. Hypothetische Berechnungen über was wäre wenn. In der nächsten Woche bekommen wir die Evaluation der bestehenden Mindestlöhne in zehn Branchen, die teils seit 15 Jahren in Kraft sind. Interessant ist auch die Erfahrung des Auslands mit den Mindestlöhnen. In England schadet der von einer Expertenkomission gefundene Mindestlohn den Arbeitsplätzen nicht und ist seit vielen Jahren hoch akzeptiert. In Frankreich wird er von der Politik festgelegt. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit legt nahe, dass er zu hoch ist. Daraus können wir lernen, dass alles davon abhängt, wie der richtige Mindestlohn gefunden wird. Ich finde, dass ist Sache der Tarifpartner in einer Lohnfindungskommission.

Soll der Mindestlohn auch Gesetz werden, wenn die CDU ihn bei ihrem Parteitag am Montag beschlossen hat?

von der Leyen Für mich wäre der nächste Schritt, nach dem CDU-Parteitag mit der CSU und der FDP sowie mit Gewerkschaften und Arbeitgebern das Gespräch zu suchen über die Frage, wie sich ein Mindestlohn umsetzen lässt. Mein Ziel ist es, dass wir dazu eine gemeinsame Lösung finden.

Ist das nicht verkehrte Welt, Rot-Grün hat die Löhne nach unten geöffnet und Schwarz-Gelb zieht nun eine Grenze ein?

von der Leyen Unter Rot-Grün ist der Arbeitsmarkt in hohem Maße flexibilisiert worden. Davon profitiert Deutschland heute international mit dem deutschen Jobwunder. Ich verstehe unter Flexibilisierung aber nicht Hungerlöhne. Grundsätzlich ist die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt etwas Positives: Betriebsinterne Flexibilität hat dafür gesorgt, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind.

Für den Parteitag ist ein Antrag gestellt worden, wonach der EU-Vertrag dahingehend geändert werden soll, dass Euro-Staaten freiwillig aus der Euro-Zone austreten können. Stimmen Sie da zu?

von der Leyen Abgesehen davon, dass es rechtlich gar nicht geht, halte ich das für ein falsches Signal. Der Angriff der Märkte gegen die Euro-Zone zielt darauf, die Gemeinschaft Europas aufzubrechen. Wie ein Schwarm Piranhas würden sie im Erfolgsfall ein Land nach dem anderen angreifen. Da müssen wir gegenhalten mit der politischen Entscheidung, dass die Euro-Zone zusammensteht. Dies entbindet uns nicht davon, dass die einzelnen Länder ihre Hausaufgaben erledigen und eisern ihre Haushalte in Ordnung bringen.

Was schlagen Sie akut für die dramatische Zuspitzung der Finanzkrise in Italien vor?

von der Leyen Die Beispiele Portugal und Irland zeigen, dass die Länder durch entschlossene Reformen aus einer kritischen Situation herauskommen können. Italien muss wie alle anderen europäischen Länder zeigen, wie es nachhaltig wirtschaften will. Ankündigungen helfen nicht mehr. Italien hat es in der Hand, es ist immerhin die drittstärkste Volkswirtschaft Europas. Zweitens muss die Eurozone durch Reformen das klare Signal aussenden: Wir verankern nachhaltiges Wirtschaften. Das schafft auch wieder Vertrauen für Anleger, in Europa zu investieren. Und drittens muss Europa einen Plan entwickeln, in welche Richtung es sich in den nächsten 30 Jahre entwicklen will.

Immer mehr Experten meinen, Deutschland solle einen Kern um sich herum bilden und eine neue Währung schaffen.

von der Leyen Das ist das Pippi-Langstrumpf-Prinzip: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Die Exportnation Deutschland profitiert wie kein anderes Land von Europa und der Euro-Zone. Allein 500 Milliarden Euro Handelsvolumen und neun Millionen Arbeitsplätze hängen direkt vom Funktionieren der Euro-Zone ab. Deshalb ist es ökonomisch absurd zu meinen, man könne sich nur die Rosinen herauspicken. Politisch wäre es der Anfang vom Ende Europas.

Halten Sie es für komplett ausgeschlossen, dass die Euro-Zone zerbrechen kann?

von der Leyen Das kann niemand auf dieser Welt. Aber es wäre ein Desaster. Es hätte massiv negative ökonomische Auswirkungen. Wir dürfen nicht Europa in Frage stellen, wir müssen seine Konstruktionsfehler beheben.

In Deutschland gibt es immer mehr Euro-Skeptiker. Wie wollen Sie verhindern, dass sich eine Partei rechts der CDU bildet?

von der Leyen Die Menschen lehnen nicht Europa ab, sondern sie fragen zurecht: Macht ihr Europa richtig? Europa ist mehr als ein großer Rettungsschirm. Europa ist 60 Jahre Frieden auf dem Boden des Rechts. Europa ist ein riesiger gemeinsamer Binnenmarkt, Freizügigkeit des Reisens, Arbeitens und Forschens. Es gibt ein europäischen Sozialmodell, das ein anderes ist als das Angelsächsische oder das Asiatische. Das sind Werte, für die sich aufzustehen lohnt.

Warum haben Sie sich dem Thema Europa in den vergangenen Monaten so stark verschrieben — gab es ein Vakuum in der CDU?

von der Leyen Ich bin im Herzen Europas, in Brüssel, geboren und aufgewachsen. Meine Begeisterung für den friedenstiftenden europäischen Gedanken ist von meinen Kindheitserfahrungen geprägt, einer Europaschule mit Franzosen, Holländern und Italienern. Ich habe Europa immer als selbstverständliche Heimat empfunden, ebenso wie Deutschland und Niedersachsen. In der Krise ist uns allen klargeworden, dass Europa keine Ewigkeitsgarantie hat. Es ist in Gefahr, und das ist der Grund, warum ich für Europa kämpfe.

Birgit Marschall und Eva Quadbeck führten das Gespräch.

(Birgit Marschall und Eva Quadbeck, RP/felt/csr/rai)
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