Regierungsbefragung „Wir werden viel verzeihen müssen“
Berlin · Gesundheitsminister Spahn stellt die Bürger auf Fehlentscheidungen in der Corona-Krise ein. Aber Fragen der Opposition bleiben offen. Etwa, ob Unternehmen Staatshilfe bekommen sollten, die noch Dividenden ausschütten.
Die Antwort von Jens Spahn macht Eindruck in der Regierungsbefragung. „Wir werden miteinander wahrscheinlich viel verzeihen müssen in ein paar Monaten“, sagt der Bundesgesundheitsminister am Mittwoch im Bundestag. In der Geschichte der Bundesrepublik habe man während einer Krise mit so vielen Unwägbarkeiten noch nie so tiefgehende Entscheidungen in so kurzer Zeit treffen müssen wie jetzt bei der Corona-Pandemie. Auch er werde in einem halben Jahr möglicherweise feststellen müssen, dass er nicht immer richtig gehandelt habe. Das wirkt souverän. Das noch Interessantere daran aber ist, wie die Frage lautete, auf die er mit dieser Fehlerkultur antwortet - und welchen Punkt er offen lässt.
Die Linke-Abgeordneten Gesine Lötzsch wollte von ihm als „erfahrenen Finanz- und Haushaltspolitiker“ wissen, ob er sich persönlich dafür einsetzen werde, dass die Bundesregierung dem Beispiel Dänemarks folge und jenen Unternehmen keine Staatshilfen auszahle, die jetzt Dividenden ausschütteten und Boni gewährten. Anfang April hatte es Berichte gegeben, dass etwa der Auto-Konzern BMW, der für etwa 20.000 Beschäftigte staatlich subventionierte Kurzarbeit beantragt hat, den Aktionären eine Dividende von insgesamt 1,64 Milliarden Euro ausschütten wolle. Der Bundestag sei sich doch einig gewesen, betonte Lötzsch, dass man Fehler schnell korrigieren werde.
Spahn sagt: „Ich wäre, Frau Kollegin, mit Ihnen einer Meinung, dass man in dieser Pauschalität wahrscheinlich gar nicht beurteilen kann, sondern man sich die Situation etwas individueller und spezifischer anschauen müsste.“ Was die Korrektur von Fehlern betreffe, sei er ausdrücklich ihrer Ansicht. Aber, ob die Regierung auch mit der Auto-Industrie oder anderen großen Konzernen streng umgehen wird, die Staatshilfen womöglich ausnutzen könnten, sagt er nicht. Er fügt nur einen etwas spitz formulierten Satz an: „Ich bin immer ganz neidisch auf die, die schon immer alles gewusst haben.“
Die Zulassung eines ersten deutschen Corona-Impfstoffkandidaten für klinische Tests wertet er als „gutes Signal“. Es werde aber noch Monate dauern, bis tatsächlich ein Impfstoff zur Verfügung stehen könne. Und er pocht auf schnelle Klarheit über einen Gehaltsbonus in der Altenpflege für die besondere Belastung der Pflegekräfte in der Virus-Krise. Nun müsse es um die faire Verteilung der Kosten zwischen Bundesebene, Pflegekassen, Ländern und Arbeitgebern gehen. Krankenkassen sperren sich gegen eine alleinige Finanzierung der geplanten Prämie in Höhe von 1500 Euro aus der Pflegeversicherung, der Gehaltsbonus würde in dem Fall von den Beitragszahlern finanziert.
Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) steht Rede und Antwort. Die Corona-Pandemie hat auch bei ihm Spuren hinterlassen. Zumindest war der 45-Jährige offensichtlich seit längerem nicht beim Friseur. Die nach hinten gekämmten Haare sind lang geworden, lockige Wellen reichen bis in den Nacken, leicht ergraut. Er habe eine gute Botschaft an die Taxiunternehmen, sagt er gleich zu Beginn. In Zukunft werde man in Taxis eine Trennung zwischen Fahrgast und Fahrer einbauen.
Die AfD will von Scheuer wissen, ob es durch die Corona-Krise nicht eine ganz neue Sichtweise auf die Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge geben werde, wenn der Autoverkehr so stark reduziert sei wie jetzt, aber an Messstellen trotzdem der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten werde. Scheuer, ein Mann des Autos, findet diese Frage völlig berechtigt und sichert intensive Diskussionen darüber zu, wenn sich die Zeiten wieder entspannen.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat nur Zweifel, dass sich Scheuer mit der Ampelschaltung noch gut auskennt und Rot und Grün richtig zu deuten weiß. Die Zeit für eine Antwort in der Regierungsbefragung läuft nach 60 Sekunden ab, dann leuchtet die Lampe Rot. Scheuer liegt meistens deutlich darüber. Bis Schäuble ruft: „Bei Rot ist Schluss!“