Interview mit FDP-Fraktionschefin Homburger "Wir überarbeiten das System der Mehrwertsteuer"

Düsseldorf (RP). Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger kündigt im Gespräch mit unserer Redaktion an, das gesamte Mehrwertsteuersystem "gründlich" zu überarbeiten. Die Regierung werde zudem neue Gesetze künftig häufiger mit "Verfallsdaten" versehen und Bürgern den Kontakt mit Ämtern erleichtern: Sie brauchen weniger Genehmigungen, die schlichte Anzeige soll reichen.

Interview mit FDP-Fraktionschefin Homburger: "Wir überarbeiten das System der Mehrwertsteuer"
Foto: ddp, ddp

Umfragen sehen die FDP im Sinkflug. Hotelsteuer, Parteispenden, da gibt es viel Gegenwind. Ist der Zenit überschritten?

Homburger: Nein. Die Analyse trifft nicht zu. Allensbach etwa sieht uns bei 13 Prozent. Ich habe bei den Veranstaltungen in den letzten Wochen viele positive Rückmeldungen bekommen — bis hin zu Parteieintritten. Es ist richtig, dass es Fragen gibt. Aber wenn wir die Chance haben, den Bürgern die Maßnahmen direkt zu erklären, dann bekommen wir große Zustimmung.

Sie haben also keine Fehler gemacht?

Homburger: Wir machen nach der Wahl genau das, was wir vor der Wahl versprochen haben. Wir sind am Beginn eines Langstreckenlaufes. Am Ende der Wahlperiode werden die Bürger merken, dass diese Regierung Deutschland gut getan hat. Wir haben die Bürger und Unternehmen zu Beginn dieses Jahres bei der Steuer entlastet. Wir bringen allein zwölf Milliarden Euro zusätzlich für die Bildung auf, die Vorgängerregierungen haben nur die Steuern erhöht.

Haben Sie den Zusammenhang zwischen Parteispenden und Hotel-Mehrwertsteuer nicht unterschätzt?

Homburger: Offenbar ist die politische Debatte auf dem Tiefpunkt angekommen. Niemand behauptet, dass die SPD die Abwrackprämie wegen der Spenden von der Autoindustrie gemacht hat. Wenn die SPD jetzt mit Kampfbegriffen gegen die FDP hetzt, zeigt das nur ihre Konzeptlosigkeit. Das Verfassungsgericht hat eindeutig erklärt, dass Spenden nicht nur zulässig sind, sondern wünschenswert, weil sie Ausdruck dafür sind, ob die Parteien die Bürger von ihren Ideen überzeugen können. Wir richten unsere Politik nach Überzeugungen. Fast alle Nachbarländer haben einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Hotelbetriebe. Deshalb haben wir in der Hotelbranche die Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in Deutschland beseitigt. Das fordern wir schon seit dem Jahr 2000. Im Übrigen haben sich dafür auch SPD, Linke und Grüne eingesetzt.

Aber Ihr Parteivize Andreas Pinkwart fordert eine Rückkehr zur alten Regelung — und wird dabei von CDU-Vize Jürgen Rüttgers unterstützt...

Homburger: Es wäre gut, wenn das Bundesfinanzministerium die Kritik an den Ausführungsbestimmungen zum Anlass nähme, diese nochmals zu überprüfen. Auch wenn es Kritik an einigen Punkten in der Ausführung gibt, bleibt die Entlastung für die vielen kleinen Hotels, Pensionen und Ferien auf dem Bauernhof richtig. Hotelbetriebe fangen doch schon an, in Modernisierung und Ausbau ihrer Häuser zu investieren. Wir bleiben bei unserer verlässlichen Wirtschafts- und Steuerpolitik.

Die Nachbarländer haben auch niedrigere Mehrwertsteuern auf Medikamente. Müssen Sie da dann auch ran?

Homburger: Das Mehrwertsteuersystem in Deutschland ist nach Jahrzehnten mit immer neuen Einzelfallregelungen völlig unübersichtlich geworden. Deshalb werden wir es gründlich überarbeiten. Weil es aber so kompliziert ist, lässt sich das nicht mal eben in den ersten hundert Tagen machen. Aber wir gehen es an, während alle Vorgängerregierungen nichts getan haben. Sieben Prozent auf Trüffel, 19 Prozent auf Windeln — solche Ungereimtheiten müssen raus.

Dem Steuerstreit dürfte bald der Streit um die Gesundheit folgen. Wie wollen Sie den Menschen Kopfpauschalen schmackhaft machen?

Homburger: Es geht um mehr Fairness im Gesundheitswesen. Derzeit werden z.B. durch Zusatzbeiträge diejenigen stärker belastet, die weniger haben. Wir wollen den Sozialausgleich im Steuersystem vornehmen. Das ist gerechter, weil dann alle nach ihren Möglichkeiten für die Finanzierung aufkommen.

Diese Gesundheitsreform kostet Milliarden - und gefährdet damit die Steuerreform?

Homburger: Ich sehe darin kein Risiko, sondern eine Herausforderung. Es ist jetzt die Kunst, das neue System so zu organisieren, dass es umgesetzt werden kann. Wir Liberale trauen uns, diese Veränderung Schritt für Schritt anzustoßen. Nur wenige Länder haben so hohe Gesundheitsausgaben wie Deutschland. Davon kommt bei den Versicherten aber zu wenig an. Gesundheitsminister Philipp Rösler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich da vieles effizienter und kostengünstiger organisieren lässt.

Ihr Koalitionsparter Horst Seehofer will gegen die Reform "Sturm laufen", hält sie für "Nonsens" und glaubt sie habe "nicht die Spur einer Realisierungschance"...

Homburger: Dann würde Horst Seehofer gegen das Sturm laufen, was er selbst ausgehandelt und im Koalitionsvertrag unterschrieben hat. CDU, CSU und FDP haben die Überführung in ein System mit einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen und einem sozialen Ausgleich im Koalitionsvertrag festgeschrieben und der gilt für alle Partner. Das hatte Horst Seehofer in der Runde der Parteivorsitzenden doch gerade selbst noch einmal bekräftigt.

Sie betonen die "liberale Handschrift" im Koalitionsvertrag, an welchen Projekten werden die Bürger diese erkennen?

Homburger: An vielen Punkten. Bei Steuersenkung und -vereinfachung, Bildung und Bürgerrechten und auch beim Bürokratieabbau. Das ist ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif, das wir jetzt auf den Weg bringen. Bürger und Unternehmen werden dadurch massiv entlastet. So sollen künftig weniger Genehmigungen nötig sein, sondern Anzeigen bei der zuständigen Behörde ausreichen. Neue Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften wollen wir häufiger mit Verfallsdaten versehen. Dann sind künftig diejenigen, die die Vorschrift erhalten wollen, in der Beweislast und nicht mehr diejenigen, die sie wieder abschaffen möchten.

Und was bedeutet die von Ihrem Parteichef eingebrachte "geistig-politische Wende" in der praktischen Politik?

Homburger: Das ist die Art und Weise, wie diese Koalition mit den Bürgern umgeht. Wir denken den Staat vom Bürger her. Wir werden im Haushalt einsparen, damit die Bürger entlastet werden und sich mehr entfalten können. Diese Koalition räumt der Bildung einen höheren Stellenwert ein und definiert auch die Bürgerrechte anders als Vorgängerregierungen. Die SPD hat auf diesem Feld völlig versagt. Das sehen Sie am elektronischen Entgeltnachweis (Elena), bei dem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nun angekündigt hat, nur die zur Berechnung von Sozialleistung zwingend erforderlichen Informationen zu speichern. Das sehen Sie an der Bankdatenlieferung (Swift), die wir in letzter Minute noch mit einer Reißleine in Form einer Befristung und Neuverhandlung versehen konnten.

Michael Bröcker und Gregor Mayntz sprachen mit der FDP-Fraktionsvorsitzenden.

(RP)
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