Jürgen Trittin im Interview "Wir sind nicht die Spaßpartei"

Berlin (RP). Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin bleibt trotz des jüngsten Umfragehochs für seine Partei auf dem Teppich. Im Interview mit unserer Redaktion sprach er über die Ziele der Grünen, das vorläufige Ende der schwarz-grünen Option und seine Kritik an Westerwelle.

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Foto: ddp

RP: 18, 20, 22 Prozent in Umfragen für die Grünen - brauchen Sie inzwischen ein Kissen vor dem Mund, damit die Freudenschreie nicht so laut ausfallen?

Trittin: Umfragen sind Stimmungen. Entscheidend sind Wahlen. Und da haben wir uns ganz ohne Kissen richtig gefreut, dass wir Grünen es geschafft haben, in Nordrhein-Westfalen die schwarz-gelbe Mehrheit zu knacken, obwohl die SPD sogar noch verloren hat. Jetzt haben wir uns vorgenommen, am 27. März in Rheinland-Pfalz für eine grüne Einbettung des SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck zu sorgen.

RP: Und in Baden-Württemberg?

Trittin: Da freuen wir uns, dass Frau Merkel unsere Herausforderung angenommen hat. Sie hat die Landtagswahl im März zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 und letztlich auch über ihre eigene Politik gemacht. Wenn das für Schwarz-Gelb verloren geht, ist das der Beginn vom Ende der Kanzlerschaft Merkel.

RP: Ist das mutig oder todesmutig von Merkel?

Trittin: Nachdem sie fast ein Jahr lang überhaupt nicht regiert hat, war das zumindest voreilig. So ist ihr Laden nicht aufgestellt, dass sie das jetzt riskieren sollte. Die Baden-Württembergwahl kann schnell zum letzten Aufgebot werden. Wenn die daneben geht, wird in der Union die Diskussion darüber beginnen, ob es ein anderer besser kann als sie.

RP: Wäre das Norbert Röttgen? Den haben Sie am Anfang über den grünen Klee gelobt und ihm sogar die Unterstützung angeboten.

Trittin: Wir haben gesagt, dass wir ihn unterstützen, wenn das, was er damals ankündigte, wirklich seine Politik wird. Nach einem Jahr wissen wir: Egal, welchen Konflikt es zwischen dem Umweltministerium und Wirtschaftsministerium gibt - Röttgen verliert ihn. Herr Brüderle killt die Vorgaben im Europäischen Klimaschutzziel, Herr Röttgen schweigt. Der Umweltminister will mehr Erneuerbare Energien, die Bundesregierung kürzt das Marktanreizprogramm. Die Unionsfraktion stellt sich in jedem Konflikt zwischen Röttgen und Brüderle hinter den FDP-Minister. Fazit: Es gibt einen massiven Gegensatz zwischen den Ankündigungen von Herrn Röttgen und der Politik dieser Regierung.

RP: Liegt Röttgen denn richtig mit seiner Einschätzung, FDP-Chef Westerwelle sei irreparabel beschädigt?

Trittin: Das kann ja auch eine mitleidige Feststellung gewesen sein. Wir haben noch nie einen Außenminister gehabt, der durch eine derartige Abwesenheit in der Außenpolitik glänzte. Wir brauchen mehr Europa, wir brauchen mehr Einsatz für die gemeinsame Währung, wir brauchen Einstehen gegen rechte Populisten - in all diesen Fragen taucht Herr Westerwelle nicht auf. Keiner merkt, dass er eigentlich die Federführung für die Afghanistan-Politik hat. Stattdessen versuchte er, sich durch ein fahrlässiges Diffamieren von sozial Schwachen in der Innenpolitik zu profilieren. Deutschland hat außenpolitisch unter ihm an Gewicht verloren. Das ist für eine Partei wie die FDP mit ihrer langen außenpolitischen Tradition eine Tragödie.

RP: Dann sind Sie aber wenigstens vom Verteidigungsminister begeistert, wenn er die Wehrpflicht abschafft?

Trittin: Wenn er es denn wirklich täte! Aber er tut ja immer nur so. Er ist der Meister der Pose. Wir haben einen adligen Staatsschauspieler in der Rolle des Verteidigungsministers. Das ist wie mit dem Kind, das entdeckt, dass der Kaiser gar keine Kleider an hat. Karl-Theodor zu Guttenberg stellt nach 20 Jahren deutscher Einheit plötzlich fest, dass wir von Freunden umzingelt sind und die Wehrpflicht nicht brauchen! Aber anstatt sie abzuschaffen, setzt er sie nur aus. Wenn er mit dieser Erkenntnis und seiner halbherzigen Schlussfolgerung schon der Leistungsträger dieser Koalition sein soll, dann muss es um diese schlimm bestellt sein.

RP: Die Grünen sind stark wie nie, liegen in Umfragen in zwei Ländern vor der SPD - brauchen Sie einen Kanzlerkandidaten?

Trittin: Wir bleiben auf dem Teppich. Wir hatten 10,7 Prozent bei der Bundestagswahl, das war unser bestes Ergebnis seit unserer Gründung und reichte dennoch nur für den fünften Platz. Wir sind nicht die Spaßpartei, die mit dem Guidomobil in die Hotelsteuervergünstigung fährt, sondern wir sind eine seriöse, an der Veränderung und am Umbau dieser Gesellschaft interessierte Partei - dabei freuen wir uns über Rückenwind, wissen aber auch, dass wir noch viel vor uns haben.

RP: Wir erklären Sie sich Ihren Höhenflug?

Trittin: Das hat was damit zu tun, wie die Menschen aktuell die Arbeit der Regierung und der einzelnen Oppositionsparteien bewerten. Zum anderen gilt aber auch: Je kontinuierlicher, je ruhiger und je mehr wir mit unseren Konzepten an der Sache orientiert sind, um so besser gelingt es, Stimmungen in Stimmen zu verwandeln und möglicherweise langfristige Bindungen in Gang zu setzen. Wir hatten immer extreme Ausschläge im Umfang unserer Wählerschaft. Jetzt bekommen es auch die anderen Parteien immer mehr mit Wechselwählern zu tun. Dafür wächst bei uns die Zahl unserer Stammwähler.

RP: Brauchen Sie in der Energiepolitik den Schulterschluss mit SPD und Linken?

Trittin: Es gibt in diesem Land eine klare Alternative in der Energiepolitik: Das eine Modell ist von der CDU und steht für Atom, das andere ist von den Grünen und steht für erneuerbare Energien. Zwischen diesen beiden Positionen sortieren sich die anderen Parteien. Die Linkspartei nähert sich der ökologischen Bewegung an. Die SPD hat diese Lektion schon länger verstanden. Wir brauchen keinen Schulterschluss, wir haben diese beiden klaren Pole.

RP: Die Kanzlerin wirft Ihnen vor, dass Sie zwar Windparks ins Meer bauen wollen, aber die Stromleitungen von dort zu den Menschen blockieren.

Trittin: Da leidet die Kanzlerin offensichtlich an Gedächtnisschwäche. Es war der Umweltminister Trittin, der 2005 den beschleunigten Ausbau von Stromtrassen auf den Gesetzesweg gebracht hat. Und es waren CDU und CSU, die dies im Bundesrat auf Druck der Stromkonzerne verhindert haben. Das ist doch der Trick: So lange ich Atomkraft im Süden Deutschlands habe, brauche ich keine Stromtrassen für die Windkraft aus dem Norden. Und so lange ich keine Stromtrassen habe, läuft die Energieeinspeisung der Erneuerbaren ins Leere. So wird ein Schuh draus!

RP: Das klingt so, als wäre das Projekt "Schwarz-Grün" für die nächsten zehn Jahre tot.

Trittin: Ich habe nie zu denen gehört, die bestimmte Konstellationen herbeireden wollen. Ich will bestimmte Dinge durchsetzen in diesem Land. Deshalb ist alles ganz einfach: Wer mit den Grünen regieren will, muss zum Atomkonsens zurückkehren. Punkt. Deswegen habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Frau Merkel uns über Atom bis Stuttgart 21 als ihren eigentlichen Gegner sieht. Diese Herausforderung nehmen wir gerne an.

RP: Was sagt das über das rot-grüne Verhältnis? Muss sich die SPD darauf einstellen, auch mal Juniorpartner unter einem grünen Regierungschef zu sein?

Trittin: Wir haben die Entscheidung der Wähler über die Stärke der Partner in einer Koalition immer akzeptiert. Bis zur Wahl gibt es einen sportiven Wettbewerb. Dann guckt man, ob man eine Basis für eine gemeinsame Regierung hat, und dann stellt der Stärkere den Regierungschef. So einfach ist das. Die SPD hat in Berlin unter einem Herrn namens Diepgen und einem Herrn namens Landowsky mitregiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ernsthafte Probleme hätte, unter einer Ramona Pop oder einem Volker Ratzmann mit zu regieren.

RP: Oder unter einer Renate Künast?

Trittin: Das wissen wir bis Ende des Jahres.

RP: Und ein Sigmar Gabriel mit seiner Ankündigung einer "härteren Gangart in der Ausländerpolitik" wäre auf Bundesebene ein Koalitionspartner für die Grünen?

Trittin: Bestimmte Äußerungen werden durch Wiederholung nicht klüger. Das Problem fehlender Integration betrifft ja in vielen Fällen deutsche Staatsbürger. Wer den Eindruck erweckt, das Problem lösen zu können, indem man Deutsche in Deutschland los wird, der hat die Situation einfach nicht zu Ende gedacht. Wir haben in Deutschland ein Unterschichtenproblem. Das betrifft besonders Migranten, weil sie zu einem großen Teil in der Unterschicht anzutreffen sind, aber es betrifft nicht nur Migranten. Wenn jeder fünfte Vierjährige mit deutschem Hintergrund Sprachförderung braucht, dann müssen wir über die Frage nachdenken, wie wir zu mehr Integration insgesamt kommen. Da müssen wir zuerst über Angebote reden, nicht zuerst über Sanktionen. Wer, wie Thilo Sarrazin, in Berlin die Pflicht zur Vorschule abschafft und dann ein Buch über mangelnde Integration schreibt, der ist für mich der Dieb, der "haltet den Dieb" schreit. Das ist kein Migrationsproblem, das ist ein deutsches Problem!

(RP)
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