Aktivisten aus Düsseldorf "Wir sind die Occupy-Bewegung"

Düsseldorf (RP). Seit Wochen sorgt der neue soziale Protest weltweit für Schlagzeilen. Auch in Deutschland gibt es inzwischen Tausende Anhänger. In Düsseldorf haben die Aktivisten ein Camp neben der Königsallee aufgebaut. Warum sind sie dort? Besuch bei einer Versammlung.

 Julia Schröter, 29, lebt zurzeit in einem Zelt im Düsseldorfer Protestcamp. "Ich bin genau am richtigen Platz", meint sie.

Julia Schröter, 29, lebt zurzeit in einem Zelt im Düsseldorfer Protestcamp. "Ich bin genau am richtigen Platz", meint sie.

Foto: Andreas Breetz

Sebastian Heimann hat die Talkshow von Maybrit Illner geschaut und beschlossen, sich jetzt endlich mal zu empören. Heimann ist 66 Jahre alt, evangelischer Pfarrer aus Düsseldorf und frisch pensioniert. Am 13. Oktober sah er die Sendung, in der Wolfram Siener zu Gast war. Der junge Mann kam von "Occupy Frankfurt" und beschwerte sich über die Ungerechtigkeit des Bankensystems. "Wir können etwas ändern", sagte er. Das fand Heimann gut. "Da habe ich mir gedacht, diese Spur nimmst du auf."

Schüler David Taoussanidis, 17, mit einer Guy-Fawkes-Maske.

Schüler David Taoussanidis, 17, mit einer Guy-Fawkes-Maske.

Foto: RP, Andreas Breetz

Nun quetscht sich der pensionierte Pfarrer auf einem Plastikstuhl in ein Mannschaftszelt, das die Aktivisten vor drei Wochen im Schatten der Johannes-Kirche nahe der Königsallee aufgebaut haben. Draußen ist es dunkel und regnet, drinnen gibt es Couscous mit Gemüse. Es ist die tägliche Versammlung von "Occupy Düsseldorf". 30 Menschen sind gekommen: Schüler, Studenten, Berufstätige, Arbeitslose, Rentner, Lebenskünstler. Sie haben sich der neuen Protestbewegung angeschlossen, die derzeit weltweit für Schlagzeilen sorgt.

Was sie eint, ist der Zweifel am System

Es begann am 17. September, als eine Gruppe von Demonstranten den Zuccotti Park in New York besetzte. Die Protestler nannten sich "Occupy Wall Street" und demonstrierten gegen soziale Ungleichheit. Es folgten ähnliche Demos in anderen Ländern, inzwischen gibt es weltweit Hunderte "Occupy"-Gruppen.

Sebastian Heimann sitzt im Düsseldorfer Zelt, weil er findet, die Politiker wirkten angesichts der großen Finanzkrisen hilflos. "Es bedarf einer neuen Basisbewegung, um ihnen zu helfen", meint er.

Die anderen im Zelt kommen mitunter aus ganz anderen Gründen. Das ist das Besondere an der "Occupy"-Bewegung: Die Aktivisten haben nicht unbedingt dieselben politischen Forderungen, sie wollen nicht "links" sein oder "bürgerlich". Was sie eint, ist das Gefühl, dass auf dieser Welt etwas gewaltig schiefläuft, und ihr Wunsch, das mitzuteilen.

Miteinander, Hierarchiefreiheit, Menschlichkeit

Diese Idee hat auch Anabel Jujol überzeugt, die mit ihrem Laptop auf einer Bierbank im Zelt sitzt und sich Notizen macht. Jujol, 44, ist Künstlerin und Dozentin und reist fast jeden Tag aus Essen an. Sie hatte von "Occupy" bei Facebook gelesen und die erste Demo in Düsseldorf mitorganisiert. Dann stand sie plötzlich mit dem Mikrofon vor 3000 Menschen. Es gehe darum, für einfache Werte einzutreten, meint sie: Miteinander, Hierarchiefreiheit, Menschlichkeit. Und darum, sich auszutauschen. Das helfe, auch im Kleinen. Kürzlich beim Elternabend hat sie sich mal gemeldet, als ihr etwas nicht passte. Den Mut habe sie gehabt, weil sie hier Diskutieren gelernt hat.

Auf der Versammlung wird heute besprochen, über welche Route die nächste Demo führen soll, wann der Workshop zum Flugblatt-Basteln stattfindet und wer Spekulatius mitbringt, die an Passanten verteilt werden sollen. "Spekulatius statt Spekulanten", lautet die Parole. Nach drei Stunden ist Schluss. Das ging heute schnell, befinden alle.

Viele fahren nach Hause. Julia Schröter, 29, Bürokauffrau, bleibt. Sie gehört zu den bis zu 25 Hartgesottenen, die in Zelten im Camp schlafen. Sie ist müde. Morgens dröhnt der Verkehr, um acht läuten die Kirchenglocken. Aber Schröter ist euphorisch "Ich bin genau am richtigen Platz." Wie geht es mit der Bewegung weiter? Sie zuckt mit den Achseln. Gerade macht sie ihr Zelt winterfest. Vielleicht wird sie noch länger bleiben. Wenn nicht, sei die Zeit auch nicht verloren gewesen, meint Schröter. "Unser Leben wird nach der Bewegung nicht mehr so sein wie vorher."

(RP)
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